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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Mensch, schnell!"
    Ich beschleunigte meine Schritte, wir durchschritten endlose Korridore, mir zitterten die Beine. Der Oberaufseher war ein ehemaliger aktiver Unteroffizier. Er ging steif, hielt sich kerzengerade, sein Schnurrbart a la Wilhelm II. war völlig weiß und gewichst. Er überragte mich um einen ganzen Kopf, und ich mußte zwei Schritte machen, wenn er einen machte. Dann ging er etwas langsamer und sagte halblaut: "Hast du Angst, Dragoner?"
    Ich sagte: "Nein, Herr Oberaufseher."
    Wir gingen noch ein paar Schritte, ich fühlte, daß er mich ansah, und nach einem Weilchen begann er wieder: "Du brauchst auch keine Angst zu haben. Du hast nichts Schlimmes getan. Wenn du etwas Schlimmes getan hättest, wüßte ich es."
    Ich sagte: "Danke, Herr Oberaufseher."
    Er ging noch langsamer und setzte halblaut hinzu: "Hör mal zu! Achte gut auf das, was du dem Herrn Direktor sagst. Er ist ein sehr gelehrter Mann, aber. ..", er senkte die Stimme noch mehr, ". ..er ist ein bißchen ..."
    Er hob die rechte Hand in Gürtelhöhe und zeigte abwechselnd den Handrücken und das Innere. "Und außerdem", fuhr er fort, "ist er etwas. .."
    Er legte den Zeigefinger an seine Stirn und blinzelte mir zu. Ein Schweigen folgte, er verlangsamte seinen Schritt noch mehr und sagte lauter: "Also gib gut acht, daß du die Antworten gibst, die er haben will."
    Ich sah ihn an, er blinzelte mir wieder zu und fuhr fort: "Denn bei ihm weiß man nie, welche Antworten man geben soll."
    Ich sah ihn an, er schüttelte mit wissender Miene den Kopf, blieb stehen und legte mir die Hand auf den Arm. "Also zum Beispiel: du glaubst, eine Dummheit gesagt zu haben. Aber keineswegs. Er ist zufrieden."
    Er fügte hinzu: "Und umgekehrt."
    Er setzte seinen Marsch fort, zupfte lange an seinem Schnurrbart und sagte: "Also gib gut acht auf deine Antworten!"
    Er gab mir einen kleinen Klaps auf die Schulter, und ich sagte: "
    Vielen Dank auch, Herr Oberaufseher."
    Erst kam noch ein langer Gang, dann trat glänzend gebohnerter Eichenfußboden an die Stelle der Steinplatten, wir gingen durch eine Doppeltür, und ich hörte das Geklapper einer Schreibmaschine. Der Oberaufseher ging vor mir, zog seinen Rock zurecht, klopfte an eine rotgestrichene Tür, trat ein, stand stramm und rief mit lauter Stimme: "Der Häftling Lang ist zur Stelle, Herr Direktor."
    Eine Stimme sagte: "Lassen Sie ihn eintreten!"
    Der Oberaufseher schob mich vor sich her. Das Zimmer war sehr hell, und das starke Leuchten der weißen Wände blendete mich. Nach einer Weile bemerkte ich den Direktor. Er stand an einem großen Fenster, ein grünes Buch in der Hand. Er war klein, mager, sehr blaß, hatte eine hohe Stimme und einen durchdringenden Blick hinter seiner goldenen Brille. Er sah mich an und sagte: "Lang?", und sein Gesicht zuckte. Der Oberaufseher stieß mich mit der Hand leicht in den Rücken. Dann lockerte er den Druck. Ich befand mich etwa einen Meter vor dem Schreibtisch, der Oberaufseher stand rechts von mir. Hinter dem Schreibtisch war die Wand vom Boden bis zur Decke mit Büchern bedeckt. "Aha!"
    sagte der Direktor mit schriller, kreischender Stimme. Dann warf er von der Stelle, wo er stand, das grüne Buch auf seinen Schreibtisch. Aber er verfehlte sein Ziel. Das Buch erreichte nur die Ecke des Tisches und fiel zu Boden. Der Oberaufseher machte eine Bewegung. "Halt!"
    rief der Direktor mit schriller Stimme. Seine Augen, seine Nase, seine Stirn, alles an ihm bewegte sich. Mit unglaublicher Heftigkeit streckte er seinen Zeigefinger in Richtung auf den Oberaufseher aus und sagte: "Ich habe es fallen lassen. Also ist es an mir, es aufzuheben. Ist das klar?"
    "Das ist klar, Herr Direktor", sagte der Oberaufseher. Der Direktor tänzelte rasch zum Schreibtisch, hob das Buch auf und legte es neben einen Aschenbecher, der mit halb aufgerauchten Zigaretten angefüllt war. Dann zog er die rechte Schulter hoch, sah mich an, nahm ein Lineal vom Tisch, drehte mir den Rücken zu und fing an, mit rasender Geschwindigkeit im Zimmer herumzutänzeln "Also, das ist Lang", sagte er. Ein Schweigen trat ein, und der Oberaufseher rief, meiner Meinung nach ziemlich unnützerweise: "Jawohl, Herr Direktor."
    "Lang", sagte der Direktor hinter meinem Rücken, "ich habe hier eine Klage über Sie von Herrn Doktor Vogel."
    Ich hörte, wie er hinter meinem Rücken mit dem Lineal auf einen weichen Gegenstand schlug. "Er beklagt sich darüber, daß Sie auf einen Brief von ihm nicht geantwortet haben, von dem er mir eine

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