Der Tod ist mein Nachbar
war eben nicht aus demselben Sandkasten wie die anderen, und wenn sie fragten, wo ich studiert hatte und so, wurde ich immer nervös, weil ich nicht mal so tun konnte, als wenn ich eine von ihnen wäre. Dabei wollte ich so gern dazugehören, Gott weiß, warum. Von Anfang an führten wir nicht das, was man eine gute Ehe nennt. Es dauerte nicht lange, da lief Julian hinter anderen Frauen her, und ich trieb es, wie gesagt, mit anderen Männern. Auch mit dem Master. Der muß jeden Tag sein Bett frisch bezogen haben wie in den feinen Hotels. Aber nun sollte er ja endlich gehen, und damit hat alles angefangen. Oder aufgehört? Julian wollte unheimlich gern Master werden, und es gab nur noch einen Menschen, der sich das mehr wünschte als er, und das war ich.
In London hatte ich ganz schön gefährlich gelebt, wie alle Frauen, die mit Sex ihr Geld verdienen. Ich bin ein paarmal zusammengeschlagen und zweimal vergewaltigt worden, einmal von einem Weißen und einmal von einem Schwarzen, Rassenvorurteile kann mir also keiner vorwerfen. Von den Mädels hatte eine so ’ne Wasserpistole, aus der hat sie jeden, der ihr an die Wäsche wollte, mit enzianblauer Farbe bespritzt. Wieso es gerade diese Farbe war, weiß ich nicht, aber ich sehe sie immer noch vor mir, ich kannte sie aus dem Tuschkasten, den ich als kleines Mädchen hatte, neben Sienna und Karmesinrot. Aber Julian hatte was viel Besseres, er hatte von der Army her eine Pistole, und nachdem ich auf dem Cornmarket an einem Samstagabend mal Ärger mit Fußballrowdys gehabt hatte, sagte er, ich könnte sie ab und zu mal mitnehmen, zur Beruhigung. Sie hat mich tatsächlich beruhigt und mir ein ganz neues Selbstbewußtsein geschenkt, und an einem Wochenende ist Julian mit mir und ein paar seiner Kumpels aus der Reserve zu dem Schießplatz in Otmoor gefahren, und ich habe zum erstenmal im Leben geschossen. Ich habe gestaunt, wie schwierig es ist, wegen des Rückschlags, aber ich habe es hingekriegt und fand es toll. Danach habe ich die Pistole fast immer mitgenommen – geladen! –, wenn ich spätabends allein unterwegs war. Es war ein unheimliches Machtgefühl, das Ding in der Hand zu halten.
Dann kam unsere große Chance. Julian war immer ein ziemlich guter Tip für das Amt des Master, und wenn wir Cornford schlagen konnten, hatten wir es geschafft. Ich fand Denis immer ganz nett, aber er mochte mich nicht. Dafür konnte ich seine amerikanische Frau nicht ausstehen. Aber dann gab es plötzlich nicht nur dieses eine Hindernis, sondern es stellte sich heraus, daß Julian allenfalls noch ein Jahr zu leben hatte. Wir einigten uns darauf, keinem was zu sagen. Und dann kam eine dritte Sache hinzu: dieser Scheißkerl Owens.
Er hatte an Julian geschrieben, nicht an mich, und er hatte gründliche Arbeit geleistet. Er wußte, daß ich Callgirl gewesen war (klingt besser, nicht?). Er wußte von Julians letztem Flittchen. Und er wußte von Julians Krankheit und ahnte, daß er sie dem College verschwiegen hatte. Er würde anrufen, schrieb er, und das hat er dann auch getan, und sie haben sich in der Chapters ’ Bar im Randolph getroffen. Owens ging es offenbar nur um Geld, und davon hatte Julian ja genug, aber er hat sich nicht festgelegt und ist hinterher noch mal in die Bar zurückgegangen, und da hatte er Glück: Eine der Bedienungen wußte, wer Owens war, weil er öfter mal über die Veranstaltungen im Randolph berichtete. Wir brauchten keinen Detektiv anzuheuern, um seine Adresse rauszufinden, er stand im Telefonbuch.
Ich wußte genau, was ich tat, weil ich schon zweimal die Gegend abgefahren und auch gründliche Arbeit geleistet hatte. Ich stellte den Wagen auf der Hauptstraße oberhalb der Reihenhäuser ab und kroch durch ein Loch im Zaun. Ich glaube, ich wollte ihn gar nicht erschießen, sondern ihm nur einen Denkzettel verpassen, um ihm klarzumachen, daß er seines Lebens nicht mehr sicher wäre, wenn er nicht aufhörte, Julian zu erpressen. Dann sah ich ihn hinter dem Rollo in der Küche und begriff plötzlich, wie lächerlich einfach es wäre, all unsere Probleme mit einem Schlag – in einer Sekunde sozusagen – zu lösen. Ich wußte, daß er allein lebte, daß er es sein mußte, sein Kopf war nur einen knappen Meter entfernt, und ich erkannte den Pferdeschwanz, von dem Julian mir erzählt hatte. Ich hatte eigentlich klopfen und mit ihm reden wollen, aber dann habe ich einfach abgedrückt. Es gab einen lauten Knall, Splitter und eine Menge Rauch, aber gleich darauf war
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