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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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mich wieder verirren, Treppen hinauf- und hinuntergehen und in großer Drangsal vor verschiedenen Türen stehen und nicht wissen, welche ich öffnen soll.«
     
    Ebensogut, dachte Morse, konnte er auch an dieser Stelle Schluß machen; bald darauf nickte er ein – noch halb aufrecht, das Buch auf der Decke, der Whisky (ein beispielloses Vorkommnis) nicht ganz ausgetrunken.

31
     
    Eine Zeit
    Älter als die Zeit der Chronometer, älter
    Als die Zeit, die gezählt wird von besorgten Frauen,
    Die wach liegend die Zukunft berechnen,
    Versuchen, Vergangenheit und Zukunft zu entweben,
    Entwinden, enträufeln – und zusammenzufügen.
    (T. S. Eliot, The Dry Salvages )
     
    Das Ergebnis der einen Wahl war bereits bekanntgegeben worden, und Ivan Thomas, in früheren Kommunalwahlen glückloser Kandidat der Labour Party, schickte sich an, sein Amt als Stadtrat für den Wahlkreis Gosforth in Kidlington bei Oxford anzutreten.
    In dem fünf Meilen weiter südlich im goldenen Herzen von Oxford gelegenen Lonsdale College stand das Resultat einer anderen Wahl noch aus, wobei die Frauen der beiden Kandidaten weiter fleißig – und möglicherweise nicht allzu diskret – Stimmen sammelten. Beide waren (wie Morse) an diesem Sonntag abend relativ früh im Bett – wenn auch nicht unbedingt in ihrem eigenen.
     
    Shelly Cornford hatte im Badezimmer immer lange damit zu tun, die schönen, gesunden Zähne mit Zahnseide zu bearbeiten. Als sie ins Schlafzimmer kam, saß ihr Mann aufrecht im Bett und las die Literaturbeilage der Sunday Times. Er sah zu, wie sie das lila Jaeger-Kleid auszog und den schwarzen BH aufhakte, so daß er die vollen Brüste freigab. Fast hätte er in diesem Moment etwas gesagt, aber sein Mund war plötzlich staubtrocken, und er schwieg. Außerdem war es nur ein unbedeutender Vorfall gewesen, wahrscheinlich war sich seine Frau gar nicht darüber im klaren, wie sie mit einer Berührung, einem Blick, einer Bewegung ihres Körpers auf gewisse Männer wirkte. Aber er war nie eifersüchtig gewesen.
    Oder versuchte zumindest, es nicht zu sein.
    Sie stieg in ihrem oxfordblauen Pyjama ins Bett und wandte sich kurz ihm zu.
    »Warum war Julian heute abend nicht beim Essen?«
    »Er mußte in Durham einen Vortrag halten, kommt aber abends noch zurück, Angela wollte ihn vom Bahnhof abholen.«
    »Ach so.«
    »Warum fragst du?«
    »Nur so. Gute Nacht, mein Schatz, träum süß.«
    Sie hauchte ihm über die schmale Lücke zwischen den Betten einen Kuß zu, drehte sich dann um und kuschelte sich in die grünen Kissen.
    »Laß bitte nicht mehr so lange das Licht an.«
    Wenige Minuten später lag sie ganz still und atmete tief und gleichmäßig. Sie ist wohl eingeschlafen, dachte er.
    So leise wie möglich schob auch er sich unter die Decke, machte das Licht aus und versuchte – zunächst ohne viel Erfolg – ebenfalls in den Schlaf zu finden.
     
    Nach der Abendandacht in der Kapelle hatten sich die Fellows und ihre Gäste wie üblich auf einen Sherry im Haus des Master eingefunden, ehe sie sich um halb acht am selben Abend an die erhöhte Tafel im Speisesaal zum Abendessen setzten, während die Studenten auf den langen Bänken unter ihnen Platz nahmen. Ehe sie das Haus des Master verließen, hatte Denis sich nach seiner Frau umgesehen. Sie stand am Kamin und sprach mit David Mackenzie, einem glänzenden Mathematiker von beachtlicher Leibesfülle, der rasch den Brief zusammenfaltete und wegsteckte, den er Shelly gezeigt hatte.
    Völlig unwichtig, nicht wahr? An sich schon. Nur – er, Denis Cornford, wußte, was in dem Brief stand, und zwar aus dem einfachen Grund, weil Mackenzie in der vergangenen Woche im Senior Common Room auch ihm jene lilafarbenen, parfümierten Blätter gezeigt hatte. Cornford erinnerte sich ziemlich genau an den entsprechenden Absatz. Offenbar war dieses Schreiben für Mackenzie der Höhepunkt dieses Trimesters gewesen:
     
    Weißt Du noch, was Du an jenem Abend auf meine Speisekarte geschrieben hast? Deine Schrift war ein bißchen verwackelt (!), und ich konnte das eine Wort nicht richtig lesen: ›Ich würde dich zu gern ausführen und mit dir f-n‹. Ich denke, es sollte ›flirten‹ heißen, der erste Buchstabe war eindeutig ein ›f‹. Könnte was Unanständiges, könnte aber auch was völlig Harmloses sein. Bitte klär mich auf!
     
    Natürlich war es albern, sich über so etwas Gedanken zu machen. Aber da war noch etwas. Die beiden hatten wie zwei Teenager miteinander gekichert, und Shelly hatte ihre

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