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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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genauso schwergefallen war wie ihm, mit derart herben Enttäuschungen fertig zu werden. Doch zumindest war die Geschichte jetzt vorbei, und auf lange Sicht wurde dadurch vieles leichter. Er zerriß den Brief in zwei, in vier, in acht, in sechzehn, in zweiunddreißig Stücke und hätte ihn in vierundsechzig Teile zerlegt, wenn er dazu genug Kraft in den Händen gehabt hätte, dann ließ er die winzigen Quadrate in den Papierkorb flattern.
     
    »In der Kantine haben sie kein Eis, Sir. Die Maschine hat ihren Geist aufgegeben.«
    Morse zuckte gleichmütig die Schultern, und Lewis beschloß, den günstigen Moment zu nutzen, um etwas loszuwerden, was ihm auf der Seele lag.
    »Da wäre noch eine Sache, Sir …«
    Morse sah ihn scharf an. »Sie werden jetzt hoffentlich nicht von mir wissen wollen, wo Lonsdale ist!«
    »Nein. Ich wollte Sie nur bitten, nicht zu streng mit Ihrer neuen Sekretärin zu sein.«
    »Was zum Teufel geht das Sie an?«
    »Eigentlich gar nichts, Sir.«
    »Eben. Und wenn ich verdammt noch mal Ihre Ratschläge zur Behandlung meiner Schreibkräfte haben will, werde ich Sie darum bitten. Alles klar?«
    Morses Augen funkelten erneut, und jetzt kam auch Lewis die Galle hoch, so daß er ohne ein weiteres Wort das Büro seines Vorgesetzten verließ.
     
    Es war kurz vor zwölf, und Jane Edwards gab gerade ihrem Kündigungsschreiben den letzten Schliff, als Morse sie über die Gegensprechanlage in sein Büro rief.
    »Setzen Sie sich.«
    Sie gehorchte. Der Chief Inspector wirkte müde, das Weiße in seinen Augen war rot geädert.
    »Tut mir leid, daß ich Sie angeblafft habe, Jane. Das wollte ich Ihnen nur sagen.«
    Sie blieb wie gelähmt sitzen.
    Sehr leise fuhr er fort: »Bitte versuchen Sie, mir zu verzeihen, ja?«
    Sie nickte hilflos. Als sie ohne ein weiteres Wort aufstand und ging, sah Morse ihr traurig und fast dankbar nach.
    Im Schreibzimmer wischte sich Ms. Jane Edwards verstohlen die letzten Tränen ab, die ihr langsam über die Wangen liefen, riß ihren so sorgfältig formulierten Brief in vierundsechzig Stücke und war plötzlich, als hätte der heilige Antonius ein Wunder gewirkt, ganz unerklärlich glücklich.

33
     
    Eine vor kurzem durchgeführte Erhebung ergab, daß 80,5 % der Hochschullehrer in Oxford nach potentiell pornographischen Angeboten im Internet suchen, ehe sie sich dieser Einrichtung für ihre eigene Disziplin oder zu Forschungszwecken bedienen. Die Quote bei den Studenten an derselben Hochschule liegt um 2 % niedriger.
    (Terence Benczik,
A Possible Futur e for Computer Tec h nology )
     
    Bis zu seinem zwölften Lebensjahr hatte es für Morse an Lesestoff wenig mehr gegeben als wöchentlich einmal das Groschenheft Dandy und einmal im Monat das Meccano Magazine , dessen Wirkung insofern weitgehender war, als ihm Morse eine lebenslange Leidenschaft für Modelleisenbahnen und für die Eisenbahn als reales Verkehrsmittel verdankte. Als er auf dem Bahnsteig eins des Oxforder Bahnhofs stand, freute er sich deshalb schon sehr auf die Fahrt, nicht zuletzt, weil er die Reise für die Lektüre eines Buches nutzen wollte. Aus diesem löblichen Vorhaben wurde allerdings in den meisten Fällen nichts, und als der pünktlich um 14.15 Uhr in Oxford abgehende Zug 59 Minuten später in Paddington eintraf, von wo Morse sich unverzüglich mit dem Taxi zu New Scotland Yard begab, hatte er keine einzige Seite gelesen.
    In New Scotland Yard wußte man von seinem Kommen, aber es war reiner Zufall, daß er in der Eingangshalle Paul Condon, dem Commissioner der Metropolitan Police, über den Weg lief.
    »Sie werden schon erwartet, Morse. Ich kann leider nicht bleiben. Pressekonferenz. Diesmal habe ich nicht nur die ethnischen Minderheiten, sondern auch noch die ethnischen Mehrheiten auf dem falschen Fuß erwischt. Und das alles nur, weil ich wieder ein paar Daten zur Entwicklung der Kriminalität rausgelassen habe.«
    Morse nickte und hätte seinem alten Freund gern etwas mit auf den Weg gegeben. Zum Beispiel, daß das Klettern nie umsonst ist, wenn man sich daranmacht, den Berg der Wahrheit zu besteigen. Doch das Zitat fiel ihm erst ein, als er im vierten Stock den Aufzug verließ, wo ihn Sergeant Rogers von der Sitte erwartete.
    In dessen Büro legte Morse die Fotos des Striplokals auf den Tisch. Mit der Geschwindigkeit eines versierten Ornithologen, der eine bestimmte Papageienart identifiziert, hatte Rogers erkannt, um welches Etablissement es sich handelte.
    »Geht von der Brewer Street ab.« Er

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