Der Tod ist mein Nachbar
ihrer Wohnung im Woodpecker Way öffnete und die beiden Kriminalbeamten in das Wohnzimmer mit dem grauen Teppichboden führte, wo der ältere, der mit den weißen Haaren, ihr sogleich ein Kompliment über ihr hübsches Zuhause machte.
»Das Dumme ist nur, daß ich die Wohnung auf dem Höhepunkt des Grundstücksbooms für achtundfünfzigtausend gekauft habe. Jetzt würde ich nur noch vierunddreißigtausend dafür bekommen.«
»Wie ärgerlich!«
Der Mann war ihr nicht recht geheuer. Sie dachte an den vergangenen Sommer, als man sie, obgleich sie das grüne Schildchen an die Windschutzscheibe geklebt hatte, bei der Rückkehr aus Frankreich zur Zollkontrolle gebeten und liebenswürdig – viel zu liebenswürdig – nach allem möglichen befragt hatte, nur nicht nach den tausend unverzollten Zigaretten, die in ihrem Kofferraum lagen. Ständig hatte sie das Gefühl gehabt, daß die Zollbeamten sie nur in Sicherheit wiegen wollten, während sie in Wirklichkeit längst Bescheid wußten.
Aber diese beiden, sagte sie sich, können unmöglich Bescheid wissen, mit denen werde ich schon fertig. In Radio Oxford hatte sie kurz vor Weihnachten gehört, was P. D. James Leuten riet, die eines Verbrechens bezichtigt wurden: »Halten Sie es kurz! Halten Sie es einfach! Ändern Sie, wenn es nicht unbedingt nötig ist, kein einziges Wort.«
»Bitte nehmen Sie doch Platz. Kaffee? Leider hab ich nur löslichen.«
»Trinken wir beide auch lieber, stimmt’s, Sergeant?«
»Ja, bestens«, sagte Lewis, der sich über eine Tasse Tee bedeutend mehr gefreut hätte.
Zwei Minuten später hielt Dawn einen Krug über die dampfenden Tassen.
»Milch?«
»Bitte«, sagte Lewis.
»Danke«, sagte Morse.
»Zucker?«
»Nur einen Teelöffel«, sagte Lewis.
Morse schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch, als sie zwei gehäufte Teelöffel in ihre Tasse gab und umrührte, und sagte so servil, daß Lewis sich innerlich wand: »Wie schaffen Sie es bloß bei dem vielen Zucker, Ihre großartige Figur zu halten?«
Sie wurde ein bißchen rot. »Hat irgendwas mit dem Grundumsatz zu tun, haben sie in der Klinik gesagt.«
»Richtig, Sie sind ja vom Fach, das hätte ich fast verge s sen …«
Jetzt redete er wieder fast wie der Mann vom Zoll, fand Dawn, und sie war froh, daß nun der Sergeant die Befr a gung übernahm.
Eine Spur verlegen, eine Spur ungeschickt (fand Morse) erkundigte sich Lewis nach ihrer Ausbildung, ihrer Berufserfahrung, ihrer derzeitigen Stellung, ihrer Beziehung zu Arbeitgebern, Kollegen, Patienten …
Der Grund war gelegt.
Sie kannte Storrs (wie sie behauptete) nur als Patienten, hatte Turnbull (wie sie behauptete) nur als Arzt und Owens (wie sie behauptete) überhaupt nicht gekannt.
Lewis holte den Brief mit der Prognose für Julian Storrs he r aus.
»Glauben Sie, daß diese Fotokopie in der Klinik gemacht wurde?«
»Ich habe den Brief nicht kopiert.«
»Irgendjemand muß es ja gewesen sein.«
»Ich habe ihn nicht kopiert.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer es getan haben könnte?«
» Ich war es nicht.«
Es war keine sehr überzeugende Vorstellung. Sie begriff, daß die beiden Besucher sie durchschaut hatten, und unter Tränen, aber ohne Hysterie kam schließlich die Wahrheit heraus.
Owens war einer der Journalisten gewesen, die zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des Hauses in die Harvey Clinic gekommen waren. An jenem Abend mußte er etwas gesehen oder gehört haben, was ihn auf Mr. Storrs’ Spur gesetzt hatte. Nach Turnbulls Tod hatte Owens sie angerufen, sie hatten sich im Bird and Baby in der St. Giles’ getroffen, er hatte sie gefragt, ob sie einen Brief für ihn kopieren könne – ja, diesen Brief –, hatte ihr 500 Pfund angeboten, und sie hatte eingewilligt, hatte den Brief kopiert und die Summe in bar entgegengenommen. Und das war schon alles, ein schlimmer Vertrauensbruch, sie hatte so etwas noch nie gemacht und hätte es normalerweise wohl auch nie gemacht – aber das Geld hatte gelockt, sie war so schrecklich knapp dran …
Morse schwieg, war aber offensichtlich sehr von den langen Beinen in den schwarzen Strümpfen angetan.
»Und wie geht es jetzt weiter?« fragte sie unglücklich.
»Wir müssen Sie bitten, das offiziell zu Protokoll zu geben«, sagte Lewis.
»Jetzt gleich?«
»Das wäre wohl das beste.«
»So eilig ist es auch wieder nicht, Miss Charles«, schaltete Morse sich ein. »Wir melden uns in Kürze bei Ihnen.«
An der Tür bedankte sich Morse für den Kaffee. »Keine schöne
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