Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
gab.
Lüneburgs Polizei wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt und durch Einsatzkräfte aus dem ganzen Land Niedersachsen verstärkt. Die Kriminalpolizei bildete eine Sonderkommission, und die Staatsanwaltschaft setzte eine Belohnung von insgesamt 13 000 DM für Hinweise auf den Täter aus. Polizeistreifen patrouillierten Tag und Nacht durch die Stadt. Objekte, von denen anzunehmen war, sie seien möglicherweise ebenfalls gefährdet, bekamen Wächter. In den Straßen und Parkanlagen beobachteten verkleidete, teilweise als Liebespaar getarnte Polizisten die Passanten. Lüneburg glich einem Heerlager der Polizei.
Dennoch konnte der „Feuerteufel" in der Nacht zum 14. Januar 1960 einen weiteren Brand legen. Als Objekt hatte er diesmal das beliebte, aus dem Mittelalter stammende und zu den historischen Sehenswürdigkeiten Lüneburgs gehörende Restaurant „Zur Krone" gewählt. Im Brandschutt fanden die Experten gleich drei Brandherde. Einen unter der Theke, den zweiten unter einem Tisch im Gastraum und den dritten im Nebenzimmer unter dem Klavier. Der Gastraum wurde von den Flammen völlig zerstört. Der Rauch, der durch die Entlüftungsanlage bis in die oberen Stockwerke vordrang, drohte die Hausbewohner zu ersticken. Den Schaden bezifferten die Experten mit 60000 DM.
Nun kannte die Empörung der Lüneburger keine Grenzen mehr. Die Polizei geriet ins Kreuzfeuer der Kritik, und wie immer in derartigen Situationen fehlte es auch diesmal nicht an Forderungen nach radikaler Verschärfung der Strafgesetze.
Die 24köpfige Sonderkommission B, von Kriminalhauptkommissar Landmann vom Landeskriminalpolizeiamt in Hannover geleitet, war in vier Ermittlungsgruppen aufgeteilt worden. Die Kripo vermutete, der oder die Täter stammten aus Lüneburg und hätten die Brände entweder aus politischem Fanatismus oder aus Haß und Rache gelegt. Soweit politische Täter in Betracht gezogen wurden, richtete sich der Verdacht in erster Linie natürlich gegen Linkskräfte, vor allem gegen linksgerichtete Studenten. Dafür gab es zwar nicht den geringsten Anhaltspunkt, doch im strammbraunen „Heil-Herzog-Widukind-Land" Niedersachsen, das noch dazu über solche Brandexperten wie Zirpins verfügte, verstand es sich von vornherein, nur die „Roten" seien einer solchen Teufelei fähig.
Folglich wurde in einschlägigen Kreisen eifrig sondiert. Das gehörte hei der BRD-Kripo schon zum Handwerk. Wann und wo immer ein schweres, die Öffentlichkeit schockierendes Verbrechen begangen wurde, fahndete man zunächst in den Reihen der politisch Unbequemen nach dem Täter. Die Kriminalpolizei Niedersachsens mag, inspiriert durch ihren langjährigen Chef, den ehemaligen SS-Sturmbannführer und Kommunistenhasser Zirpins, darin besonders eifrig gewesen sein, eine Ausnahme jedoch bildete sie keineswegs.
Die Lüneburger Sonderkommission hatte noch drei weitere Versionen zum Tatmotiv und damit zum Täter. Sie zog in Erwägung, ein Intellektueller, der den Wert der Kulturschätze kannte und die ganze Stadt mit deren Vernichtung treffen wollte, könnte die Tat begangen haben. Oder: Der Täter wäre in jenen Kreisen zu suchen, die für Lüneburg eine Berufsfeuerwehr forderten. Und schließlich dachte man auch daran - wie bezeichnend für die Welt der „freien Marktwirtschaft" und der Konkurrenz —, ein Bauunternehmer oder ein Architekt, dem es um lohnende Aufträge ging, hätte die Brände gelegt. Alle diese Vermutungen erwiesen sich schon sehr bald als falsch.
Die naheliegendste, freilich auch unsensationellste Möglichkeit, daß der Täter nichts weiter als ein geltungssüchtiger Psychopath war, den lediglich krimineller Ehrgeiz zum Verbrechen trieb, erwog man nur am Rande.
Die Kriminalpolizei hatte zwar einen dicken „Spurenband", aber nicht den geringsten konkreten Täterhinweis, als am Abend des 27. Januar 1960 die Lüneburger Feuersirenen abermals Alarm schlugen. Im 500 Jahre alten Salzspeicher Viskulenhof war Feuer ausgebrochen. Der Brand vernichtete den Dachstuhl und den Silo und verursachte einen Schaden von 150000 DM.
Auch diesmal stand jener milchgesichtige Bursche unter den Zuschauern und amüsierte sich. Wäre er dem Lüneburger Polizeiwachtmeister Grabowski aufgefallen, vielleicht hätte er in ihm jenen Einbrecher wiedererkannt, den er eines Abends auf frischer Tat festgenommen hatte. Grabowski wollte ihn mit zur Wache nehmen, unterließ es aber, ihn zuvor nach Waffen zu durchsuchen. Plötzlich zauberte der Kerl einen Gasrevolver aus
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