Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
Bargeld. Bei Marlies hingegen, die ein Scheckbuch besaß, war nicht allzuviel davon im Hause. Das Phantom hatte auch den letzten Raum durchsucht und blickte sich noch einmal kritisch um. Nichts deutete darauf hin, daß hier soeben fremde Finger am Werke gewesen waren. Marlies' Spitzenhöschen lagen genauso da wie vorher, am Mantel war der Ärmel in der ursprünglichen Weise verdreht und das Rollenbuch, das aufgeschlagen auf dem Tisch lag, lugte mit einer Ecke beinahe auf den Millimeter genausoweit über den Tischrand wie vorher.
Das Phantom war hungrig geworden. Geräuschlos glitt es in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Dem raschen Blick folgte ein unwilliges Kopfschütteln. Marlies war eine moderne Hausfrau, der Kühlschrank enthielt nur Konserven.
Es blieb das Schlafzimmer. Unverzüglich machte sich das Phantom an die Arbeit. Mit wenigen, hundertfach geübten Handgriffen zog es einen Stolperdraht zwischen Bett, Tür und Balkon, ließ kurz seine Lampe aufblitzen, um die Steckdose der Nachttischlampe zu suchen. Ein rascher Griff über Marlies hinweg zur Wand, dann waren Lampe und Steckdose voneinander getrennt.
Das Phantom setzte sich auf den Bettrand und betrachtete die Frau. Es streifte einen Handschuh ab, strich der Schlafenden behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht und streichelte zart ihre Wangen und Brüste.
Marlies fuhr erschrocken empor und wollte schreien. Das Phantom redete gütlich auf sie ein. Sie hätte nicht das geringste zu befürchten, sofern sie nur still im Bett bliebe und nicht versuchte, das Licht einzuschalten. Marlies gehorchte. Der Fremde hielt artig Abstand, sprach höflich mit sanfter Stimme und nahm sogar die furchteinflößende Maske ab. Sein Gesicht konnte sie freilich nicht erkennen. Das Phantom begann zu plaudern. Die Angst wich von Marlies, und ehe sie sich versah, war eine perfekte Konversation im Gange, die ein zufälliger Zuhörer nicht anders als angeregt, höflich und artig hätte bezeichnen können. Drei Stunden lang plauderten sie. Die ganze Zeit über saß das Phantom gemütlich an Marlies' Bett, während es draußen in den Gärten und
Straßen von Dutzenden Polizisten und Streifenwagen gesucht wurde.
Erst als der Morgen heraufzudämmern begann, schickte sich das Phantom an zu gehen. Geschickt entfernte es die Stolperdrähte und glitt zur Balkontür. „Vergessen Sie nicht die Tür zu schließen, gnädige Frau, sonst erkälten Sie sich", sagte es, bevor es sich elegant über die Balkonbrüstung schwang.
Als der Beamte der Bremer Kriminalpolizei später von Marlies wissen wollte, wie das Phantom ausgesehen hatte, konnte sie nur immer wieder erklären: „Es war groß, schlank, sehr höflich und sprach ein gutes Deutsch."
Der Kriminalhauptmeister, der nun schon länger als zweieinhalb Jahre hinter dem Villeneinbrecher herjagte, konnte nur resigniert die Achseln zucken. Die Kriminaltechniker suchten verzweifelt nach Spuren und hinterließen dabei in Marlies' Wohnung mehr Schmutz und Unordnung als das Phantom. Doch diesmal sollte es sich lohnen. Der Einbrecher hatte seinen Handschuh nicht wieder angezogen und deshalb einen klaren Abdruck seines rechten Ringfingers am Fenster hinterlassen.
Bisher hatte die Kriminalpolizei an den mehr als hundert Tatorten des Phantoms stets nur Fragmente von Finger- oder Handflächenabdrücken sichern können. Endlich hatte sie eine brauchbare und gut auswertbare Spur! Der gesicherte Fingerabdruck wies ein sogenanntes zufälliges Muster auf. Diese Abart des Wirbelmusters kommt sehr selten vor. Nur etwa jedes zehnte Wirbelmuster ist ein „zufälliges Muster".
Die Bremer Kripo konnte frohlocken, denn selbst Anfang der sechziger Jahre, als die westdeutsche Kriminalpolizei noch nicht über Computer verfügte, mußte es ein Kinderspiel sein, den gesicherten Fingerabdruck anhand der einliegenden Zehnfingerabdruckblätter zu identifizieren, vorausgesetzt, der Spurenverursacher war schon einmal erkennungsdienstlich behandelt worden. Wie groß war die Enttäuschung, als sich herausstellte, daß der „Villenschreck" bisher nirgendwo in der BRD kriminalpolizeilich registriert worden war. Das Phantom war also ein „Neuling" mit der Umsicht und Routine eines Profis.
Burschen dieser Art waren am schwersten zu fangen. Weit über hundert Anzeigen lagen der Kripo bereits vor - dabei war das Ende der Einbruchsserie noch gar nicht abzusehen. Presse und Bevölkerung machten sich schon über die Bremer Stadtpolizei lustig und zweifelten
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