Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
stimmt".
Der Kriminalobermeister gab die Beschreibung sofort an die Zentrale durch. Die Zentrale leitete eine „Sofortfahndung" ein und ließ das gesamte Gebiet um Bosau abriegeln. Streifenwagen kontrollierten die Straßen, und Polizistenaugen begannen argwöhnisch die untere Rückenpartie der Passanten zu mustern.
Inzwischen blieb die Polizei auch vor Ort nicht tatenlos. Hannchen Klemm durfte sich mit ihrem Fahrrad, Brotwagenfah-rer Zappel mit den Brötchen zurückziehen.
Kriminalobermeister und Landgendarmerie sistierten inzwischen die Umgebung. 300 Meter vom Tatort entfernt fanden sie eine blaue, verwaschene Leinenjacke und eine schwarze Pudelmütze mit Sehschlitzen. Zappel konnte beides als Räubereigentum identifizieren.
Da der Täter offenbar wußte, wann der Brötchenwagen die Strecke passierte, konnte er nur in der näheren Umgebung des Tatortes wohnen. Folglich wurden alle benachbarten Polizeiposten benachrichtigt. Mittlerweile war es Feierabend, und weil Polizisten auch nur Menschen sind, zog die Polizei ab.
Am nächsten Morgen wurden die Ermittlungen fortgesetzt. In allen Schulen der Umgebung, in den Dörfern, Betrieben und Kneipen zeigte man die Pudelmütze. Aber niemand wußte, wem sie gehörte. Da er nicht weiterkam, suchte Kripoobermeister Rettich Hannchen Klemm auf. Sie mußte ja noch nach dem vorschriftsmäßigen Vordruck als Zeugin vernommen werden und sollte außerdem den Platz zeigen, an dem sie beim Moossammeln ihres Fahrrades beraubt worden war. Hannchen unterzog sich der Aufgabe mit viel Eifer. Rettich fand neben einem großen Feldstein unmittelbar am Kieckbuscher Weg tatsächlich eine Stelle, von der erst kürzlich Moos entfernt worden war. In Hannchens
gute Stube zurückgekehrt, begann er die schriftliche Vernehmung.
Der Landgendarm seinerseits ging in Kieckbusch mit der Pudelmütze von Tür zu Tür. Viele Türen waren es ohnehin nicht. Schon an der zweiten hatte er das, was Psychologen ein AHA-Erlebnis nennen. Die Einwohnerin erklärte sofort: „Die gehört dem Jungen von Hannchen Klemm." Das bestätigte auch noch eine zweite Kieckbuscherin. Da Hannchens Sohn aber erst sechs Jahre alt war, mithin noch nicht ernsthaft Räuber spielen konnte, kombinierte der Kriminalobermeister sofort: Hannchens Alter! Doch Hannchen enttäuschte ihn. Ihr Mann war am Dienstag wie jeden Tag in Malente zur Arbeit, also 20 Kilometer weit vom Tatort entfernt gewesen. Die Kripo fragte bei der Arbeitsstelle nach und erhielt Hannchens Angaben bestätigt.
Wennschon nicht Hannchens Mann, wer dann? Da riß es den Kriminalobermeister plötzlich hoch. „Der dicke Hintern!" Just in diesem Moment meldete sich Landgendarm Scharf erneut zum Rapport. Beim Kaffeeplausch mit Hannchens Nachbarin hatte er erfahren, daß die Sache mit dem gestohlenen Fahrrad möglicherweise ganz anders war. Jetzt wurde es Rettich zu bunt. Diese Hannchen Klemm sollte erfahren, was es bedeutet, einen Kriminalobermeister an der Nase herumzuführen. Er wurde streng dienstlich. Hannchen schluckte und druckste, druckste und schluckte, und plötzlich gestand sie: „Ich war's, ganz allein!" Weder ihr Mann noch ihre Kinder hatten eine Ahnung, welche finsteren Räuberpläne ihr Gehirn schon seit längerer Zeit entwarf. Hannchen hatte sich nämlich finanziell übernommen. Weihnachten stand vor der Tür, und da hatte sie, nobel wie stets, für 800 DM Lebensmittel und Festartikel und für 1000DM Bücher bestellt. Soviel Geld wollte aber erst einmal beschafft sein. Sie beschloß, es zu rauben. Aber sie hatte keine Erfahrung im mühseligen Straßenräuberhandwerk, und sie hatte die Wirkung ihrer Spielzeugpistole sowie auch ihren eigenen Mut überschätzt. Als Zappel, anstatt zu zahlen, davonrannte, war sie am Ende ihres Mutes. Das Umziehen geschah dann zu rasch, und sie steckte die Pudelmütze und die Arbeitsjacke neben statt in die Tasche. Zum Glück fiel ihr die Ausrede mit dem gestohlenen Fahrrad ein.
Hannchen Klemm, die als erster und überaus seltener Fall einer weiblichen Straßenräuberin in die westdeutsche Kriminalgeschichte einging, wurde am 15. September 1967 von der Großen Strafkammer am Landgericht Lübeck wegen „Auto-Straßen-raubes" in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Kurz darauf wurde die Strafe jedoch im Gnadenwege auf ein Jahr Gefängnis herabgesetzt. Doch auch die brauchte sie nicht anzutreten.
Sie zog mit ihrer Familie in ein anderes Dorf, wo sie sich alsbald als
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