Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
vollführte, um der Richtungssuche nach dem Hören auch einen visuellen Hinweis zu geben, erkannte er endlich die Multifunktions-Fernbedienung neben seinem Kopfteil als Telefonhörer. Er meldete sich. Bereits die Stimme des Anrufers versetzte Marvin abrupt in den Alltag zurück. Es war sein Vorgesetzter, ein Mann vom Vorstand.
»Hallo? Sind Sie noch dran?«, quäkte es aus dem Hörer, als Marvin zögerte.
Der Mann am anderen Ende klang ungeduldig, so als hätte er zwischen zwei Terminen angerufen und eigentlich überhaupt keine Zeit für ein Gespräch. Nach der obligatorischen Frage, wie es Marvin ginge, und auf deren Antwort er mit ›Aha‹ oder ›Soso‹ reagierte, kam er bald zur Sache.
»Wann kommen Sie denn noch mal rein? Ich meine … Sie kommen doch noch mal rein?«
Das Letztere klang auffallend unsicher und Marvin horchte auf. Es schien ihm fast mehr eine Aussage, als eine Frage zu sein.
»Das wäre nämlich schon wichtig! Der Kollege, der Ihre Arbeit macht, hat jede Menge Fragen, die ich nicht beantworten kann. Ich meine, ich könnte mich da reinknien, aber die Zeit habe ich nicht … Sie wissen ja … ich denke, Sie werden sich schnell noch reinknien müssen. Leider! Wissen Sie was, ich schicke Ihnen den Kollegen in den nächsten Tagen mal vorbei, damit Sie beide das klären können.«
Sein Vorgesetzter wünschte Marvin noch alles erdenklich Gute.
»Tut mir wirklich leid, was Ihnen da passiert ist.«
Dann verabschiedete er sich schnell. Wahrscheinlich drängte die Sekretärin mit dem nächsten Termin.
Immerhin tat es ihm leid. Zunächst fühlte Marvin sich nicht unzufrieden mit dem Verlauf des Gespräches. Man brauchte ihn! Ja – er würde eine Lücke reißen, wenn er nicht mehr kommen würde, ganz sicher eine große. Fragte sich allerdings, für wie lange. Die Gepflogenheiten in der Firma kannte er allzu gut. Wer krank wurde, war sehr schnell raus. Und er war bereits seit Wochen krank! Natürlich musste ein anderer Kollege Marvins Aufgaben übernehmen. Vielleicht würden sie Teile davon auf andere Kollegen verteilen, aber in jedem Fall würde er bald komplett ersetzt sein. Der neue Posten als Geschäftsführer, eigentlich für ihn vorgesehen, war schließlich auch schon längst vergeben. Die Firma würde wohl doch ohne ihn weiterlaufen. Was auch sonst? Vielleicht, dachte sich Marvin, war das Gespräch doch nicht ganz zu seiner Zufriedenheit verlaufen. Man verschwendete nur deshalb die Zeit für einen Anruf, weil man Informationen von ihm brauchte. Die Frage nach seinem Befinden – eine Höflichkeitsfloskel ohne Füllung. Wen interessierte die Antwort? Und sein Kollege wird zu ihm ins Krankenhaus geschickt, um schnell noch etwas zu klären? Sehr sicher schien man sich dort nicht zu sein, dass Marvin je wieder zur Arbeit kommen könnte.
Lisa kam, wie zuvor, am Abend. Sie brachte ihm frische Wäsche mit, obwohl sein schmaler Spind zum Bersten gefüllt war. Irgendwie schaffte sie es trotzdem, auch das noch dazu zu stopfen, ohne die Tür aus den Scharnieren zu sprengen. Unglaublich, wie sie sich um seine Bekleidung sorgte, wie sie seine Haare ordnete, weil sie vom Liegen zerzaust waren. Doch wenn er von seinem Befinden erzählen wollte, kam er nicht zu Wort. Dann redete sie, strich über seine Haare, zog seinen Schlafanzug glatt, aber über seine Seele strich sie ihm nicht.
Marvin beobachtete ihren Umgang mit seiner Wäsche insgeheim mit Traurigkeit. Die Art, wie sie diese anfasste, sie auf einen Haufen türmte, vorsichtig zwar, da es Bügelwäsche war und sie Bügeln hasste – aber keinesfalls sinnlich. Nichts von ihrem Umgang damit zeugte von erotischer Romantik. Ganz im Gegensatz zu seiner Sicht auf ihre Wäsche. Niemals würde er ihre Slips so nüchtern wie ein x-beliebiges Kleidungsstück behandeln. Für ihn waren es keine Hosen und BHs – nein, Höschen, Dessous, die ihre intimsten Körperteile umschmeichelten und zwangsläufig für ihn geheimnisvoll erregend waren. Nicht einfach nur Bügelwäsche! Er hatte immer gehofft, Lisa könnte seine Wäsche ebenso reizvoll finden.
Lisa erzählte von sich, von ihrer Arbeit, von Julia, die wieder in ihre eigene Wohnung nach Hamburg gefahren war. Verwunderlich, sie erwähnte Bastians Besuch nicht. Vielleicht hegte sie Angst, er könnte Basti das Geld tatsächlich geben. Lisa mochte Bastian nicht! Sie nannte ihn ›Großmaul‹, er sie ›Blödchen‹. Na ja, nicht immer ernsthaft. Auf keinen Fall aber würde sie Bastian Geld leihen. Und auf keinen Fall würde
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