Der Tod kann mich nicht mehr überraschen
harte Kern, der aus Lisa, Julia und Christoph bestand, blieb ratlos bestürzt im Zimmer zurück.
Julia fasste sich als Erste.
»Ich rufe Bastian!«
Sie lief aus dem Zimmer.
»Klar – der muss sich darum kümmern!«, bestätigte Christoph eifrig, erleichtert, eine saubere Lösung gefunden zu haben und rannte Julia hinterher.
Lisa blieb allein mit Marvin zurück. Mit hängenden Schultern setzte sie sich auf das Sofa. Sie saß ihm gegenüber und sah ihn an – ernst und müde, als läge die ganze Last seiner Krankheit auf ihren Schultern.
»Dann müssen wir wohl nach oben.«
Sie stellte es nur fest, ohne Seufzer.
Marvin zuckte die Schultern. Er hatte ihren Geburtstag versaut. Weg waren sie, die Besucher mit ihrer ekelhaften Lebensfreude. Warum sollten sie sich amüsieren, während es ihm schlecht ging? Lisas Geburtstagsfeier würde heute nicht mehr so ablaufen, wie geplant, sondern Marvin würde über allem schweben. Nur durch diesen einen Satz von ihm, der nicht einmal der Wahrheit entsprach.
»Es ist nichts passiert. Ich habe gelogen, um all diese Schmarotzer loszuwerden«, gab er zu.
Fragend blickte Lisa ihn an. Doch sie verzichtete darauf, etwas zu sagen. Kein Vorwurf verließ ihre schönen Lippen. Von den anderen ließ sich niemand mehr blicken. Nur Basti schaute kurz herein, verschwand aber schnell wieder, als er ihn mit Lisa zusammen sah. Es wurde still in der Wohnung. Nicht einmal der Hund kläffte. Grabesstille! Und je länger sie dauerte, desto mehr bedauerte Marvin den Vorfall. Wieder hatte er etwas getan, was er im Nachhinein bereute.
Lisa blieb sitzen. Hier, zu Hause, musste wohl auch sie einsehen, dass eine Flucht nicht weiterhelfen würde. Schließlich brach sie das Schweigen.
»Weißt du was, Jens will sich scheiden lassen. Unfassbar, nicht wahr?« Sie sah nach hinten zur Tür, um sich zu vergewissern, dass ihr auch niemand zuhörte. »Er hat richtig geweint, als er es mir sagte. Der Arme tat mir richtig leid.«
Marvin sparte sich einen Kommentar. Ihn überraschte das wenig, allenfalls Jens’ allzu rasche Entscheidung zu dem entbehrungsreichen Schritt einer Scheidung.
»Lisa«, er fummelte das Geschenk aus der Pyjamatasche. »Es ist nur eine Kleinigkeit. Nicht so etwas Tolles, wie ein Welpe. Aber glaube mir, es war nicht leicht, es zu beschaffen.« Er sah noch immer das angewiderte Gesicht der Verkäuferin vor sich.
Überrascht nahm sie es an und legte es vor sich auf den Couchtisch. Sie berührte es vorsichtig, als könnte es zerbrechen.
»Jens hat mir einen riesigen Blumenstrauß mitgebracht«, sagte sie. »Wirklich toll! Ich wusste auch gar nicht, dass er sich so gut auf Hunde versteht. Und Christoph – du kannst dir nicht vorstellen, wie besorgt er um uns ist. Er ist wie ausgewechselt. In der Not merkt man eben doch, auf wen man sich wirklich verlassen kann.«
»Christoph? Hat der eigentlich schon einmal nach meinem Testament gefragt?«
»Du hast ein Testament gemacht?«
»Und Jens – wann hat er nach dem Testament gefragt? Ist dir eigentlich aufgefallen, wie er dich umschmeichelt.«
Lisa lachte auf. »Er umschmeichelt mich? Aber Marvin, was soll denn das nun wieder?«
»Willst du gar nicht wissen, was ich dir geschenkt habe?«
»Ich packe es gleich aus. Ist es ein Parfum?«
Er schwieg.
»Ach übrigens, dein Kollege Bernd hat sich nach dir erkundigt.«
»Ach ja, und was hast du ihm gesagt?«
»Dass es dir nicht gut geht. Er soll sich später noch einmal melden.«
»Na, dann wird er ja zufrieden sein. Wahrscheinlich wollte er nur wissen, ob ich endlich krepiert bin.«
»Marvin!« Sie sprang entsetzt auf. »Wie kannst du nur so reden?«
»Sag mal, merkst du noch was? Du besitzt ein Haus, Geld, Autos … das macht dich zur begehrtesten Witwe der Stadt … und das noch, bevor ich unter der Erde liege«, murmelte er, mit dem Gesicht zu Boden gerichtet.
Lisa drehte sich weg. Sie griff nach einem bunten Umschlag, den sie in einem Fach des Wandschrankes zusammen mit anderer Post abgelegt hatte.
»Deine Kollegen haben einen lieben Genesungsbrief an dich geschrieben. Aber da es dir scheinbar niemand recht machen kann, wirst du sicher auch daran etwas auszusetzen haben.«
Mit einem Klatsch warf sie den Umschlag neben das Parfumpäckchen auf den Tisch und machte sich daran, nun doch das Wohnzimmer zu verlassen. Marvin sah zu, wie sie ihm den Rücken kehrte, sich aufgewühlt an die Stirn fasste und die Tür fast schon erreichte. Das hatte er nicht gewollt! Er musste sie aufhalten. Nein, hier im eigenen
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