Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Staatsanwalt wurscht. Selbst die Aussagen der damalig anwesenden Zeugen sind für ihn ohne Belang gewesen. Er hat getobt und gekräht wie ein Kampfhahn in der Arena. Die Wiesner ist ordentlich gerupft worden. Das wäre bestimmt Sandners Idee gewesen, den Kastelmeyer zu diskreditieren. Erbärmlich wäre das, einem Polizeikollegen am Zeug flicken zu wollen, nur weil der menschlich gehandelt hatte. Dabei wäre der Sandner derjenige, der ein Vergehen, eine grobe Fahrlässigkeit, an die andere reiht. Und überhaupt hätte der sich qua Dienstanweisung fernzuhalten vom Geschehen. Er würde das dem Polizeirat noch einmal dringlich vermitteln – auch mit dem Hinweis auf dessen mangelnde Autorität.
Die Wiesner wäre keinen Deut besser. In die Privatfehde des Herrn Sandner würde sie sich hineinziehen lassen. Und ihr dubioser Perisic wäre nichts weiter als ein primitiver Schläger. Was sich ja gestern wieder bewiesen hätte. Dass sie seine Frau wegen Gewalttätigkeit verhaftet hätten, würde ins Bild passen. Schöne Familie. Der Sohn hehlte wahrscheinlich in der Kita mit geklauten Spielsachen.
»Und wo sind Ihre Ermittlungsergebnisse im Falle Yilmaz? Was ist mit den verschwundenen Zeugen? Was ist mit Brauners Mutter? Irgendeine Spur?« Jetzt tanzt er um ihren Schreibtisch herum, wie der Irokese ums Lagerfeuer. Den Kopf vorgereckt, umkreist er sie langsam. Die Wiesner hört Trommeln schlagen.
Einige Kollegen, die ihre Nasen hereinstecken wollten, haben sich sofort wieder verzogen. Kein günstiger Moment. Als Beamter weißt du, wann du besser unsichtbar bleibst. Die Vorwitzigen werden schnell rasiert. In jeder Behörde findest du eine scharfe Klinge.
Sie überlegt kurz, den Fleischbatzen zu erwähnen, der den Brauner heut morgen zum Umkippen gebracht hat. Keine Option. Sie könnte es ihm nicht emotionslos schildern. Jeder Gedanke daran beschleunigt ihr den Puls. Bilder und Phantasien bekommst du in den Kopf, die du deinem ärgsten Feind nicht wünschst. Das fehlte noch, dass der Staatsanwalt einen hysterischen Moment bei ihr herauskitzeln könnte.
»Hören Sie zu, Herr Wenzel«, schnappt die Polizistin, »die Kollegen sind dran. Wenn wir unsere beiden Zeugen haben, wissen wir mehr.«
»Wenn ...«
»Und Zufall ist das ja keiner. Die Brauner wird gekidnappt und der Yilmaz erschossen. Ratzfatz. Wie beim Autoskooter, einer bumst in den anderen. Aber wir werden was finden. Die Spezln werden abgeklappert, die Umgebung, die Nachbarn befragt, die KTU-Ergebnisse und die Autopsie stehen ja noch aus.«
»Mag sein, es ist kein Zufall. Zugegeben. Aber immerhin hätten wir bei Yilmaz einen Tatverdächtigen. Dieser Chingachgook ist in seine Wohnung eingebrochen. Warum? Der schweigt sich aus, der Indianer. Und der Sandner hat bei ihm gehaust, quasi Lederstrumpf. Passt zusammen, wie die Faust aufs Auge. Das ist Ihnen völlig wurscht. In der Richtung wird nichts ermittelt. Null Komma nichts! Aber das lass ich Ihnen nicht durchgehen! Halten Sie mich für blöd? Mit Sandners Waffe ...«
»Ja Herrgott noch amal!« Die Wiesner ist aufgesprungen und schmeißt dabei ihren Kaffeebecher um. Scheint sich in Sandners Team als morgendliches Ritual zu etablieren. Der Brühe brauchst du nicht nachzuweinen. Beide schauen einen Moment lag zu, wie sich die braune Flüssigkeit über herumliegenden Papieren verteilt. Die Wiesner macht keine Anstalten, sich einen Lappen zu greifen. Wozu die Mühe? Kerzengerade steht sie vor dem Wenzel.
»Jetzt lassen Sie mich meine Arbeit machen und schnaufen erst einmal durch. Kaspertheater!«
Ihre Stimme kommt als Kreissäge daher. Das hat noch gefehlt, dass sie wie ein Waschweib herumkeift. Sie spürt, wie ihr der Schädel heiß wird. Sie bräuchte ein Dampfventil. Ihre Stirnadern pochen. Dass sie ihren Kopf für den Sandner hinhalten darf, befeuert ihre Rage. Eine Watschn nach der anderen holt sie sich ab und hält noch die andere Wange hin. Es wäre charmant gewesen, erwähnen zu können, dass der Yilmaz ein Koksdealer ist. Aber nachdem der Sandner das Beweismittel vom Indianer illegalerweise zurückschaffen ließ und das Kokain aus der Wohnung des Ermordeten verschwunden ist – keine Option. Sie würde den Hauptkommissar zum Dasein als Streifenpolizisten verurteilen. Natürlich lässt sie trotzdem im Drogenmilieu recherchieren, Yilmaz’ frühere Straftaten sind Rettungsanker, um diesen Ansatz zu rechtfertigen. Aber auch hier gilt: bisher keine Anhaltspunkte. Niemand der üblichen Verdächtigen will den
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