Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
sonst?
Ob er den Sandner für zurechnungsfähig hält, lässt sein Wegbegleiter offen. Bis jetzt hatte der immer den Anschein erweckt, er wüsste, was er tue. Bis heute. Der Sandner sieht seinem Kollegen an, dass es in ihm arbeitet. Die Wangen rotfleckig, nagt er an seiner Unterlippe. »Einem verzagten Arsch entfährt kein fröhlicher Furz«, hat der Martin Luther einst festgestellt. So wird Hartingers Mimik exakt seinen Gemütszustand widerspiegeln. Er fragt sich wohl gerade, ob ein suspendierter Hauptkommissar mit Neigung zu Dienstvergehen ein guter Kletterpartner auf der Karriereleiter wäre oder mit dem Fuchsschwanz an den Sprossen sägt. Vielleicht hat die Geschichte seinen Durchblick getrübt. Alles möglich. Soll er sich Löcher in den Bauch fragen, der Bursch. Hauptsache, er spurt. Nicht, dass der Hauptkommissar sicher wäre, er hätte den Masterplan. Aber der Uhrzeiger ist unerbittlich.
High Noon. Schlag zwölf Uhr. Zeit zu handeln. Er winkt dem Hartinger zum Abschied zu. Der salutiert halbherzig. Jeder ist jetzt auf eigener Mission. Auf sich allein gestellt. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, trabt sein Befehlsempfänger von dannen.
Der Sandner macht sich auf zu seinem Lieblingsplatz nahe der Kneipe. Den Geruch kennt er schon. Nur noch vereinzelte Tropfen fallen vom Himmel. Der hat ein Einsehen. Irgendwann ist es nicht mehr originell. Mehr als nass kann der Hauptkommissar nicht werden.
Vom Hartinger hat er sich dessen Kamera erklären lassen, besonders das Heranzoomen. Viel Zeit bleibt nicht. Er sieht den Rotschopf auftauchen.
Betont zielloses Herumschlendern, wobei sein Kopf hin- und herruckt wie beim hungrigen Gockel, um die Umgebung auszubaldowern. So wie der daherkommt, würde Sandner ihn vom Fleck weg verhaften. Präventiv. Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, der Schädel tomatenrot. Das schlechte Gewissen schwitzt er aus jeder Pore. Dabei sollte er noch gar keines haben. Noch nicht. Später darf er zum Beichten.
Ein jüngeres Pärchen steht an der Eingangstür zum Ansi und diskutiert. Beide ganz in verwaschenen Jeansstoff gehüllt, Stirnglatze, beziehungsweise Pferdeschwanz sorgen für die Unterscheidung. Sie teilen sich eine Zigarette, aber nicht die Meinung. Er hat die Hand schon nach der Türe ausgestreckt, zieht sie jetzt zurück. Sieht nach intensiven Verhandlungen aus. Der Polizist wird nervös. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn, sein Hals wird trocken, wie die Sägemehlsemmel beim Discounter. An der Tränke beim Ansi wäre es gemütlicher. Vom Kauern schmerzen ihm Rücken und Knie. Er muss an die alte Brauner denken. Wo musste die gerade kauern? Und war sie noch vollständig? Ein weiter Weg, bis er die Neunzig überschritten hätte. Besonders für seine Knochen. Die sollte er die nächsten Jahre hätscheln. Schade, dass nicht jeder Körperteil vom gesteigerten Lebensalter des Menschen etwas wissen will. Einen gibt es immer, dem das nicht passt – oft das Hirn. Da geht wie eh und je zeitig das Licht aus. Vielleicht geplante Obsoleszenz vom Hersteller. Eingebauter Fehler. Aber das Licht flackert auch bei den Jüngeren manchmal bedenklich – siehe Wenzel.
Das Paar belagert immer noch den Eingang. Zum Wahnsinnigwerden! Herrschaftszeiten, schert euch weiter! Was gibt’s da zum Diskutieren? Rein oder raus. Ja, nein, vielleicht, hab Angst?
Die beiden gestikulieren, als hätten sie extra für ihn einen pantomimischen Showteil einstudiert. Scheint ein finanzieller Engpass vorzuliegen, oder ist er ein Casanova? Wie allerweil: Geld, Liebe oder irgendetwas dazwischen.
Wenn es so weiterginge, würde er auffallen als gemeiner Strauchdieb oder der Hartinger verlöre die Beherrschung. Der Bursch sieht aktuell aus, als würde ihn seine schwache Blase drücken. Er ist stehen geblieben und presst die Knie aneinander. Klassischer Kniebiesler.
Der Streit scheint einvernehmlich gelöst. Der Mann betritt die Kneipe, seine Zaubermaus stapft in ihren blauen Cowboyboots von dannen. Blue suede shoes, Baby. Niemand zu sehen. Still ruht das Viertel. Um die Mittagszeit beginnt Reality-TV. Panem et circenses. Passendes Dosenfutter schmeißen sie dir beim Discounter hinterher. Kein Verkehr auf der Straße. Der Sandner wirft einen Blick umher. Ein Zeitfenster. Er verzieht sich tiefer in die Büsche, kniet sich auf die feuchte Erde. Die Nässe hat er ausgeblendet. Hinter dem Blätterverhau linst er hervor. Von der Kneipe dürfte er jetzt nicht mehr gesehen werden. Jetzt! Jetzt muss er
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