Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Hartinger. »Kauf halt secondhand.«
»Das kannst du nicht ertragen, wenn jemand blendend ausschaut«, bekommt er dafür vom Jonny serviert. Dass er sich dabei durch die wallende Mähne fährt, ist seine Version einer Parodie.
»Deinen Anblick ertrag ich locker, den schon. Man gewöhnt sich an alles ...«
»Hat der Fuchs gesagt, bevor sie ihm das Fell abgezogen haben«, beendet der Sandner das Geplänkel.
»Dir wär ich sehr verbunden, wenn du dein Fell ein bisserl weniger oft striegeln würdest, Jonny«, sagt die Wiesner, »telefonieren geht auch ohne Rouge.«
Der Sandner nickt beipflichtend.
»Verhaftets den Alten«, rammt der Brauner seinen Gedanken dazwischen. »Daumenschrauben!«
»Der stemmt so was nicht. Und erzählt kann er das jedem haben. Außerdem klang der grundehrlich. Seine Frau hat was gewusst oder gesehen. Vielleicht hat der Kastelmeyer sie erpresst, wegen ihrem Sohn. Der hat doch krumme Geschäfte gemacht mit dem Wessold.«
Die Wiesner seufzt auf und streckt sich. »Von den Jugendlichen – keine Neuigkeiten. Für einen passenden Jungen ist keine Vermisstenanzeige eingegangen. Wir wissen auch sein Alter nicht. Handy ist tot. Nach dem Madl sucht alles, was Beine hat. Presse ist auch informiert.«
»Und die Polizei schaut zu«, murmelt der Sandner und nimmt einen Schluck vom Radler.
Die Wiesner wirft dem Jonny einen auffordernden Blick zu. Nicht schwer, ihre Gedanken zu lesen. Er soll den Nachschub an Getränken und eine Brotzeit herbeikellnern. Kennt sich mittlerweile aus in Brauners Küche. Schweigend machen sie sich darüber her. Der Sandner fühlt sich auf einer Expedition. Rucksack und los. Morgen ist der Gipfel fällig. Anders als bei der üblichen Arbeit in der Mordkommission sind sie auf sich gestellt – keine Gondel, kein Seil, keine Karte. Er blickt reihum in konzentrierte Gesichter. Selbst der übliche Zynismus kocht auf kleiner Flamme. Ganz kaltgestellt ist er nie. Morgen ist der Tag der Entscheidung. Sie haben nur diese eine Gelegenheit. Dann ist entweder alles glücklich vorbei. Oder sie sind nicht mehr im Geschäft.
Zwei Stunden halten sie sich beim Brauner auf, bevor sie sich wieder auf den Weg machen. Jeder darf in sein eigenes Bett – außer Jonny und Brauners Mutter. Ob der Hartinger darf oder muss, ist eine Frage, die nur er beantworten könnte.
Der Sandner jedenfalls ist erleichtert. Ein Mann, ein Bett.
» U nd das Licht scheinet in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht begriffen«, Johannes 1,5.
Der Sandner öffnet die Vorhänge. Hell wird es. Zu hell. Eine Prise Finsternis wäre nicht zu verachten. Man könnte damit besser in den neuen Tag schlüpfen. Ganz allmählich. Geweckt durch das Gefiepe seines Handys ist das Erwachen für den Sandner ein Sprung in den Teich voller Piranhas. Zu viel Adrenalin.
Müde schlappt er in seine Küche und lässt die Espressomaschine an. Kühlschrank öffnen, Toaster bedienen, Bergkäse dazu, Ei in die Pfanne, alles im vollautomatischen Modus. Dazu darf Gil Scott-Heron sein »New York is killing me« zum Besten geben. Der Titel lässt sich aktuell für den Sandner durchaus auf München übertragen.
Geträumt hat er: Der Wenzel mit Cowboydress, Ledermantel und Lasso galoppiert auf einem schwarzen Hengst auf ihn zu. Aus den Mäulern und Nüstern von Reiter und Tier ergießt sich in hohem Bogen der Schlabber. Grün und klebrig. Und der Sandner? Er steckt bis über die Knöchel im Morast und kann sich nicht rühren. Zertrampelt wird er werden. Todesangst macht sich breit. Hufe erschüttern den Boden, lassen die Erde zittern. Das große baumelnde Geschlecht des Rappen hat er vor Augen wie unter dem Brennglas. Monströs, blau geädert und erigiert. Fast wie ein fünftes Bein. Hin- und herschlenkernd.
Wenzel schwingt das Lasso, das sich plötzlich in eine schwarze Bullenpeitsche verwandelt. Ganz gegen jede Physik weht es ihm seinen Cowboyhut vom Schädel und dem Sandner vor die Füße. Ein Gestrüpp wächst daraus, rankt sich gen Himmel, als wäre es eine Zauberbohne, und der Sandner versucht verzweifelt, sich daran zu klammern, in die Höhe zu ziehen, bevor Hufe oder Peitsche ihn zerhäckseln. Er kommt nicht vom Boden. Der Wenzel ist ganz nah. Nur noch einen Hufbreit. Ein hoher Ton erklingt. Die Trompete von Jericho.
Der Handy-Weckruf hat ihn erlöst. Statt einer Ranke hat er mit beiden Händen den Zipfel seines Kissens gepackt gehabt. Dass ihm der Staatsanwalt bereits die Träume vergällt, ist für den Sandner nicht
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