Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
genommen und ist ihnen mit großen Schritten vorangeeilt bis zum Büro des Pflegedienstleiters. Die übliche Höchstgeschwindigkeit in Pflegeeinrichtungen, als ginge es ständig um Leben und Tod. Ihr Führer hat seine Profession nicht preisgegeben. Entweder Putzkolonnen-Kapo oder Hausmeister. Schweigsam wie ein Kartäusermönch. Der falsche Brillant in seinem Ohrläppchen hat ihnen als leuchtender Stern den Weg gewiesen.
Um diese Uhrzeit scheinen die Bewohner Bettruhe zu praktizieren. Das Licht gedimmt, kein überflüssiger Ton zu hören. Im Alter wirst du wieder zum Kind. Zeit zum Schlafen. Dient der Gewöhnung an die ewige Ruhe.
J etzt ist der Pflegedienstleiter bei der Historie der Einrichtung angelangt. Natürlich ist noch nie zuvor jemand abhandengekommen und die Polizei im Haus eine unangenehme Premiere. Das Personal wäre handverlesen und pflichtbewusst. Nicht wie anderswo. Namen wolle er nicht nennen – könne er aber bei Bedarf.
Über dem Schreibtisch des Mannes hängt das Porträt eines ernst dreinschauenden Schnauzbartträgers. Vielleicht Mitarbeiter des Monats. Daneben das deutlich kleinere Bildnis eines deutschen Ex-Papstes. Ein Pontifex an der Wand macht sich immer gut. Beinahe ein Segen. Der Rahmen ist Eichenimitat.
Die Wiesner nutzt den Moment, an dem ihr Gegenüber nach Luft schnappen muss.
»Wir brauchen die Daten aller Mitarbeiter inklusive der ehemaligen und die Liste der Bewohner nebst Angehöriger.«
»Glauben Sie, jemand hat sich die Frau Brauner mit nach Hause genommen?« Er erlaubt sich ein dezentes Feixen. Ein Fehler.
Zeichen für die Wiesner, hochzurucken und sich vor ihm aufzubauen. Hände in die Seiten gestemmt, durchdringender Blick, ganz polizeiliche Drohkulisse.
»Hören’S gut zu, Herr ... wie war noch mal Ihr Name? So wie mir die Frau Brauner geschildert wurde, spaziert die nicht zur Tür hinaus und nimmt den Bus, um Powershoppen zu gehen. Es sind auch nicht vier maskierte Grattler aufmarschiert. Also wie ist sie weg – ohne Hilfestellung? Sie wissen es nicht? Nein?« Kurze Kunstpause. »Schad. So – jetzt möcht ich bitt schön die Leute sprechen, die Dienst hatten. Fix.«
Das Grinsen hat ihm die Ermittlerin wie einen Skalp abgenommen. Seine schmerzliche Miene harmoniert dazu.
»Zwei warten nebenan«, befleißigt er sich zu sagen. Kurz pustet er durch, dann schnellt er aus seinem Chefsessel. Kugelblitz. Das scheint seine übliche Masche zu sein. Seine Hände fuchteln herum, als wäre es der Beginn einer Zaubershow für Arme. »Die anderen hatten wichtige Termine – Kinder und so. Das Leben geht ja weiter. Sie verstehen? Sie haben gerade das Schichtende verpasst. Ich hab gedacht ...« Der Satz bleibt angefangen in der Luft hängen. Er wartet auf ein Lob. Angedeutetes Nicken der beiden Ermittler. Das muss genügen.
» D as ist dein Bett.«
Der Sandner beschaut die Matratze zu seinen Füßen. Seine Augen werden schmal. Er nagt an seiner Unterlippe. Rückenfreundlich schreibt sich anders. Eher vom Wertstoffhof, die Gute. Seine Gedanken zappen sich zum folgenden Morgen. Es wird ein schmerzhaftes Erwachen geben.Er möchte nicht wissen, wer sich auf der Liegestätte schon alles zur Ruhe gebettet hat. Möglicherweise hat er den Schlafplatz vom Terrier übernommen. Der Hund wird erleichtert sein. Keine Kreuzschmerzen mehr in der Früh.
»Passt schon«, meint er. Das entspricht der Rollenerwartung.
Die rostrot gestrichene Kammer ist spärlich möbliert. An der Wand hängt ein Kuhfell, das mickrige Schrankerl schaut wie selbst gezimmert aus. Neben einer verstaubten Djembe liegen ein paar vergilbte Bücher. Anaïs Nin, liest der Sandner, »Das Delta der Venus«. Keine Abendlektüre für einen geschassten Ehemann – oder genau das Richtige. Kommt auf die Einstellung an. Der letzte Schlafgast hatte wohl die Passende.
Ein gigantischer Traumfänger baumelt von der Decke. Erinnert an eine Fischreuse. Kein Vergleich zum magischen Gegenstand seiner Maria in Bad Kohlgrub. Der hier scheint konzipiert für die gesammelten Albträume der Wohnanlage. Vielleicht hält er böse Geister vom Leib. Gerade auf die ist der Sandner neugierig.
Chingachgook drückt ihm einen Schlüssel in die Hand.
»Ich muss weg.« Und draußen ist er samt Hundsviech.
Der Sandner schnauft kurz durch, bevor er seinen Schlafsack ausbreitet. Zum letzten Mal wurde der gebraucht, als sein Freund aus der Gerichtsmedizin, der Doktor Aschenbrenner, nach durchzechter Nacht bei ihm kampiert hat. Für seinen
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