Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
dir.«
Wenn ihm der Dampfplauderer nicht bloß die Zeit stehlen will! Herrgottsakrament. Er leert die Flasche mit einem Zug.
»Was ist Ansi eigentlich für eine Abkürzung? Ansgar?«
»Na – der Ansi wollt einfach nicht mehr Hansi heißen. Ohne Haa, verstehst? Er hat bloß einen Buchstaben wegtun müssen. Weil die Leut alle ihre damischen Vögel so nennen würden, hat er gemeint. Dabei ist er selber ein schräger Vogel.«
Der Sandner wiehert lautstark mit. Der Schluckspecht neben ihm ist ein Spaßvogel. Oder Schnapsdrossel.
»Auch an Schnaps?«, fragt Sandner ihn.
»Freilich – ich bin der Vinzent.« Förmlich streckt er ihm die Hand herüber.
»Josef.«
»Auf geht’s, Seppe, bestell!« Das raue Lachen geht unter im schlagartigen Lärm aus den Boxen. Tom Jones bekommt deutsche Konkurrenz. »Verdammt, ich lieb’ dich!« Der eine oder andere formt die Lippen stumm zum Refrain. Der Sandner braucht den Schnaps – am besten intravenös. Dringend. Schon Hemingway hat festgestellt, dass kein Mann zu seinem Vergnügen trinkt.
D ie Wiesner hätte sich gerne etwas zu trinken gegönnt, zum reinen Vergnügen – weil kein Mann. Ein oder zwei Gläschen Wein in angenehmer Atmosphäre zum Beispiel. Stattdessen trabt sie mit Kollege Hartinger nächtens durch die Pampa.
Die heimeigene Gartenanlage wird besichtigt. Ihre müden Augen versuchen, mit dem unregelmäßigen Lichtschein fertigzuwerden. Ihr zu Ehren ist die Festbeleuchtung im Park angeschaltet worden. So schlendern sie von Lichtkegel zu Lichtkegel. Sie hat sich mit zwei eingeschüchterten Pflegehelferlein auf Exkursion begeben. Zum Lieblingsplatz der Mutter Brauner. Ein Bankerl im kleinen Park unter einer Trauerweide. Hier hätte sie sich wohl nach dem Abendessen aufgehalten. Wahrscheinlich. Wie jeden Tag, solange das Wetter noch so mild wäre.
Von dort führt ein gekiester Pfad bis zum Rand des Grundstücks zu einem kleinen Tor. Natürlich nicht verschlossen. Dahinter bahnt sich eine schmale Straße den Weg zwischen verstreuten Mietshäusern. Eine Drogerie mit angehängter Apotheke hat sich gegenüber breitgemacht. Daneben ein Tagescafé. Ungünstige Konstellation, um Zeugen aufzutreiben.
Der Wiesner fällt eine Amor-Statue aus weißem Stein auf. Zwei Meter hoch mit Flügelchen und Bogen. Warum auch nicht? Der schießt seine Pfeile bedenkenlos in Herzen jeden Alters. Sie seufzt kurz. Nur ist er nicht immer treffsicher. Kurzsichtiger Götterlehrling.
»Schauen Sie da draußen nicht nach den Leuten?«
»Doch, aber das ist nicht Gefängnis«, antwortet ein junges moldawisches Madl. Es ist offenbar zur Sprecherin auserkoren, zwecks Deutschkenntnissen. Die Zweite, deren Gesicht im Zwielicht unter dem Kopftuch kaum zu erahnen ist, bleibt still. Im Gegensatz zu ihren Füßen. Es trabt auf der Stelle, als wäre der Harndrang nur noch Sekunden zu kontrollieren. Die Aufregung sucht sich immer ein Ventil.
»Frau Brauner kann spazieren gehen, das macht nichts, und sie hat eigenen Kopf. Wir hüten nicht wie Schafe«, erklärt das Madl.
»Hat sie Freunde hier?«
»Hatte eine – ist tot. Nicht lange her. Kriegen wir Anzeige?« Die junge Frau zittert vor Aufregung. Bei dem Wort Anzeige drängen sich die beiden aneinander wie die Zicklein im Frost. »Haben ja unsere Arbeit gemacht, wie immer. Ist ja harte Arbeit, musst du viel laufen. Kannst du die Augen nicht überall haben. Sind Menschen.«
»Ja, keine Schafe, das wissen wir schon. Alles wie immer«, kommentiert der Hartinger, »und dabei kommt jemand abhanden. Schwups, einfach weg. Das ist aber nicht wie immer – verstehen Sie?« Ihm ist die Beißhemmung anzusehen. Die Moldawierin hat ein hübsches Gesicht. Darin paart sich Erschöpfung mit Lebenshunger. Attraktive Mischung. Weckt den Beschützer und das Tier. Der Hartinger fällt unter die erste Kategorie. Familiäre Prägung.
Seine Kollegin versucht, abwechselnd in den Mienen zu lesen. Trotz spiegelt sich darin. Trotz und Misstrauen. Was wisst ihr schon?, sagen die Blicke. Ein Tag voller Routine und Hektik, bis das Kreuz und die Füße protestieren und alles an dir nur noch todmüde ist – und dann das Unerwartete. Plötzlich verschwindet jemand. Niemand kann das vorhersehen.
»Können Sie sich vorstellen, dass die Frau Brauner allein weggegangen ist?«, fragt die Wiesner das junge Mädchen.
Die Angesprochene überlegt kurz und schüttelt dann zögerlich den Kopf.
»Und gesehen haben Sie keinen Fremden hier in der Anlage?«
Wieder
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