Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Alle Blicke rucken herum. Gläser und Kippen verharren auf halbem Weg zum Ziel. Genauso gut hätte er ein Messer in den Tresen rammen können.
»Haben sie doch hier mal einen«, ergänzt er fast unhörbar.
Jeder wartet gespannt auf die Antwort.
»Da hat’s keinen Falschen erwischt«, bemerkt sein Saufkumpan unter der nickenden Zustimmung seiner Umgebung. »Stimmt’s ned?«, wirft er mit verwaschener Stimme in den Raum, »des war doch a Drecksau, a elendigliche.«
Die Musik setzt wieder ein. »Ich hab es bloß gehört, von meinem Spezl. Von wegen Weibern und so weiter.«
»Ah«, der Vinzent winkt ab. »Da hätt’s viele Gründe geben. Hat halt amal jemandem gereicht. Der hat sich aufgespielt wie der Al Capone. Gschäfterl hier und Gschäfterl da. Und wer gemuckt hat, den hat er gepiesackt. Der hat sich ned krumm legen müssen fürs Geld, des sag ich dir. Der hat gerochen, wo es rumliegt. Und die Bullerei hat die Augen zugmacht bei dem. Ja, jetzt schaugst – glaubst es ned?«
»Freilich, den Bullen trau ich alles zu. Und der, der ihn abgestochen hat?«
»A arme Haut. Der Wessold hat überall rumposaunt, seine Frau wär eine Hure. Eine billige Pritschn. Allzeit bereit – von vorn und hinten und wieder retour, wenn du mich verstehst. Aber des hat ned gestimmt. Zumindest ned so ganz.«
»Was meinst du mit – nicht so ganz?«
»Ich sag amal so: Wenn du beispielsweise neue Zähne brauchst, könnt es ein Vorteil sein, wenn du ein Weib bist, und dann noch knusprig und a Holz vor der Hütten. Kannst mir folgen?«
»Sie hat eine Ermäßigung – herausgeschlagen?«
»Die Kasse zahlt ja nix mehr. Der AOK is es schnurzwurscht, was du im Maul hast. Musst halt lutschen vor dem Beißen.« Sein Auflachen hat sich seit Jahren nicht gewaschen. »Kannst du jetzt glauben oder nicht. Das Maul zerreißen sich viele.«
»Und da gibt’s an Zahnklempner, der das so macht? Ja verreck!«
Der Vinzent hält sich kurz den Zeigefinger vor den Mund.
»Des hast du ned von mir. Meine Lippen sind versiegelt.«
»Was redest du wieder für einen Schmarrn daher, Vinzent«, misch sich der Wirt ins Gespräch. Er lehnt sich über den Tresen und fixiert den Sandner.
Der bekommt einen tiefen Einblick ins Dekolleté. Wuscheliges Brusthaar, samt goldenem Anhänger. Thors Hammer.
»Der Fuhrer Bene, der ist schon recht gewesen«, erklärt der Kneipier. »Ein feiner Kerl. Nur ein bisserl verliebt in die Flasche, wenn du verstehst. Innige Freundschaft. Wie er mit dem Wessold gestritten hat, hab ich den Falschen nausgeschmissen. Ich denk immer, sonst wär nix passiert, und er säße noch hier am Tresen.«
Oder im Krankenhaus rechts der Isar, denkt sich der Sandner, so ein Leib ist halt kein Bierfass.
Der Ansi ist noch nicht fertig: »Aber eins ist klar. Der hat keiner Fliege was zuleide getan. Weißt du, als Wirt bist du immer auch der Beichtvater. Das hätt ich gewusst, wenn der so was könnt. Das ist kein kaltblütiger Mörder.« Er beugt sich nach vorn und starrt dem Sandner beschwörend in die Augen. Als möchte er ihm seine Worte direkt ins Hirn implantieren, wie ein indischer Guru. Kurz erwidert der Hauptkommissar den Blick, bevor er einen Schluck vom Bier nimmt. Den Beichtvater hat das Schicksal vom Fuhrer anscheinend gescheit gebeutelt. Wahrscheinlich ist auch Schuldgefühl dabei, weil er den Streit in seiner Kneipe falsch eingeschätzt hat. Hätte der Fuhrer sich an jenem Abend beim Ansi ungestört volllaufen lassen können, wer weiß, was passiert wäre. Du steckst nicht drin.
»A Schmeißfliege, a Schmeißfliege war der Wessold«, keift der Vinzent ihn an.
»Und was für Gschäfterl hat er sonst so gemacht?«, bringt der Sandner das Gespräch wieder auf Spur.
Der Vinzent wirft einen Blick über dessen Schulter und verstummt kurz. Offenbar hat er jemanden entdeckt. Der Sandner kann nichts Auffälliges wahrnehmen.
Von der Thekenlady energisch am Arm zurückgezogen, poliert Ansi mit mürrischem Gesichtsausdruck in ihrer Nähe Gläser auf Hochglanz. Immer wieder wirft er einen forschenden Blick auf den Sandner. Dabei reibt und werkelt er an den Trinkgefäßen herum, als wär er vom Putzteufel besessen. Wäre hier keinem wichtig. Es will weder jemand durchschauen noch sich darin spiegeln können. Hier willst du nicht sehen, wer du bist. Hier geht es ums Vergessen.
Jetzt beugt sich sein Nachbar nah zu ihm. Er spürt dessen Atemhauch am Ohr. Ihn durchfährt die Angst, ein feuchtes Zungenspitzerl könnte sich gleich in die Muschel
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