Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
du?«
»A Halbe.« Zehn Sekunden später hat er die Flasche vor sich stehen. Wenn er sich nicht täuscht, ist er von Ansi himself bedient worden. Sein Arbeitsalltag hinter der Theke hat ihm schwarze Schatten unter die Augen gemalt. Er beweist die routinierte Souveränität, die den Thekenfachmann auszeichnet. Kein Handgriff zu viel, die Wünsche seines Publikums vorausahnend, niemand soll auf dem Trockenen sitzen. Ab und zu wirft er einen Satz ins Geschehen, wie ein Stückerl Brot, um die Enten bei Laune zu halten. Aber es ist ihm anzumerken, dass er sich nicht einfangen lässt vom Gerede, er planscht nicht mit im Tümpel. Was immer ihm im Kopf herumspukt, scheint nichts mit dem Tresengesülze zu tun zu haben, selbst sein Auflachen wirkt wie hingeschminkt. Es scheint nicht der Tag zu sein, an dem er seinen Job mit besonderer Hingabe versieht. Die Stirn ist beständig gerunzelt, als müsste sie sich bemühen, etwas Schweres zu umklammern, das sofort herauskugeln würde, falls sie den Griff lockerte.
Der Sandner schaut dem Mann nach, wie er hinter einem Vorhang in einem angrenzenden Kabuff verschwindet. Am Tresen wird er durch eine Frau ersetzt. Das gleiche Weiß, identische Löckchenpracht, nur zäher, hagerer. Solariumgedörrtes Fleisch. Sie wird in Sandners Alter sein. Die tiefen Augenringe glitterblau verziert, zieht sie in routinierter Manier die Mundwinkel in die Höhe. Ein Muttermal trägt sie über der Oberlippe, wie die aufgepeppten Schönheitsflecken in den Fünfzigern. An ihrem Finger prunkt das Gegenstück zum goldenen Ring des Wirtes. Es scheint sich demnach um Ansis Gemahlin zu handeln. Ihr Blick bleibt an Sandner hängen. Ein kurzes Aufblitzen der Augen, undefinierbar für ihn. Vielleicht eine Spur von Neugier, gemischt mit einer Prise Argwohn. So schnell wieder verschwunden und vom Ausdruck geschäftsmäßigen Interesses ersetzt, dass er es nicht packen und anschauen kann. Nur ein Funken.
»Wohnen Sie hier?«, will sie mit rauchigem Timbre von ihm wissen. Ohne seine Antwort abzuwarten, dreht sie sich um, greift nach einer Flasche Jägermeister im Regal und füllt einige Gläser mit dem braunen Gesöff. Zusammen mit Cola wohl die Standardmischung im Laden. Fahrig kommt sie ihm vor, aber das könnte dem drängenden Durst der versammelten Gemeinde geschuldet sein. Da kannst du außer Atem geraten.
Sein Nebensitzer rückt den Hocker zurecht und wirft ihm einen aufmunternden Blick zu.
»Ja, seit heut«, sagt der Sandner Richtung Wirtin und greift nach der Bierflasche.
»Ich wohn da heraußen seit achtavierzig Jahr«, hakt sein Nachbar ein. Der Sandner nickt anerkennend, wie es der Erwartung entspricht. Wenn das keine Leistung ist.
»Is auch ned anders wie anderswo«, gibt er zum Besten. Gesprächseröffnung.
Der Mann nimmt dankend an. Endlich frisches Blut für den klassischen Labervampir. Auf die Ohren des neuen Opfers kann man sich stürzen. Das kennt all die kleinen Geschichten und den Tratsch noch nicht in- und auswendig.
Er schiebt sich näher, saugt sich fest. Seine graue Trachtenstrickweste verleiht ihm einen exotischen Touch unter all den Sweatshirt- und Karohemdträgern. So einen prächtigen Schnauzbart hat der Sandner auch schon lange nicht mehr aus nächster Nähe bewundern können – zumindest in der Heterogemeinde ist kreative Körperbehaarung vom akuten Aussterben bedroht –, selbst beim klassischen Polizeibeamten.
»Wirst scho merken, des is scho recht hier. Wobei«, der Mann senkt die Stimme, »früher war ned so viel Gschwerl da. Die kommen daher, als tät ihnen alles gehören. Auf dem Bürgersteig sollst noch Platz machen, und ihre rotzfrechen Gören laufen umanand wie die letzten Huren von Babylon und keinen Respekt vor gar nix.«
Huren von Babylon? Der Sandner hat keine Lust, das Gespräch um »die« zu vertiefen. »Die« sind ja immer die dreckigen anderen. Egal, wo du hinkommst, einer ist immer schon da, der das beklagt. Die alte Leier.
»Ich kenn’s schon, mir brauchst du nix erzählen«, sagt er und nimmt einen tiefen Zug. »Ich war ja schon öfter da heraußen – früher.«
»Ich hab dich aber no nie gseng.« Jetzt vertieft sich der Mann ins Bierglas – knüpft aus seinen Gedankenfäden einen Teppich. Den wird er feilbieten, wie auf dem Basar. Du kommst nicht mit einem »Nein danke!« davon.
»Ein Freund von mir hat da gewohnt«, bemerkt der Polizist.
Wissendes Nicken bekommt er für den Satz geliefert. »Wahre Freunde sind ein seltenes Geschenk, sog i
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