Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Ermittlungen in dieser depperten alten Geschichte – verstanden? Ich fahr jetzt heim. Ihr erreicht mich auf dem Handy. Wenn es was Neues gibt, sprecht es ab! Ich wünsch euch, dass ihr die Frau schnell findet – ich wünsch es uns! So etwas kann man nicht lang zurückhalten. Das ist brisant. Eine Tretmine. Ihr kriegt alles, was ihr braucht – aber nicht mehr Zeit. Nicht eine Minute!«
Der Wenzel nickt allerweil dazu, gibt den domestizierten Schoßhund. Dann bricht sich die nahe Verwandtschaft zur Hyäne doch noch Bahn. Er kann halt nicht aus seinem Fell.
»Haben Sie endlich was?«, keckert er los.
Die Wiesner schaut an ihm vorbei ins Leere. Oder ist das ein Blick in sein Hirn? Eine cremefarbene Rigipswand mit gräulichen Streifen? Würde sie nicht wundern. So muss sich der Siegfried gefühlt haben mit dem Hagen im Kreuz. Der Wenzel würde sie für den eigenen Vorteil bedenkenlos aufspießen. Den ekelt die Aufdeckung eines möglichen Justizirrtums genauso an wie unkonventionelle Vorgehensweisen. Da könntest du ihm gleich Küchenschaben in den Fressnapf werfen. Gerade fesselt ihn die Burschenschaftsbande seines Vaters an den Brauner. Wer weiß, wie viel so ein Halsband aushält.
Sie begnügt sich mit einem: »Müssen wir noch auswerten. Auf den ersten Blick nix Spektakuläres.«
»Dann tun Sie das«, herrscht er sie an.
Der Polizeirat wirft ihm einen irritierten Seitenblick zu. »Das tun wir eh, auch ohne Ihre Sprüche, keine Sorge, Herr Staatsanwalt«, bellt er.
Offenbar das größere Gebiss. Der Wenzel schafft eine halbe Drehung auf den Absätzen. Ob er das heimlich vor dem Spiegel übt? War bestimmt ein Reißer beim Tanzkränzchen.
Sein »Guten Abend noch« würgt er hervor wie Gewölle. Dass ihm wer verbal auf die Pfoten klopft, schmeckt ihm keineswegs. Lautlos verdrückt er sich.
Der Polizeirat legt dem Hartinger die Hand schwer auf die Schulter.
»Dann tun Sie das«, brummt er, bevor er sich auf den Weg macht. Während des Laufens zerrt er sich die Trachtenkrawatte vom Hals und öffnet den Kragenknopf. Eng scheint es ihm geworden zu sein um die Kehle. Mochte das Thema sein.
Die Wiesner probiert sich im Gedankenlesen. Aktuell keine große Kunst.
Zum Polizeirat wirst du nicht ernannt, weil du ohne Gedächtnis geboren worden bist. Ist ja nicht der BND. Im Gegenteil ist seines ausgezeichnet in Form und wird ihn ordentlich piesacken. Sandners Team im reißenden Strom – wieder einmal. Gefährliches Spiel. Das verheißt Ärger. Irgendwann würden sie vielleicht absaufen – und er? Könnte der Polizeirat im Trockenen bleiben?
Dynamisch marschiert er voran. Setzt die Füße auf, als wolle er Abdrücke im Linoleum hinterlassen. Das Trampeln sollte er sich nicht zur Gewohnheit machen. Seine Gemahlin ist in Krefeld beheimatet. Dort waren Haferlschuhe noch nie sexy.
Die beiden Polizisten sehen ihm schweigend nach, bis er um die Ecke verschwunden ist. Hören können sie ihn noch länger. Er hat ihnen eine Brücke gebaut, aber einem Sturm hielte das windige Gebilde nicht stand.
»Jetzt wissen wir wenigstens Bescheid«, murmelt der Hartinger.
Das träumst du, Hartinger, denkt die Wiesner. Sie sagt nichts.
» H ölle, Hölle, Hölle«, grollt es los. Der alte Schlager ist kein banaler Ohrwurm. Eher eine fette, milchig weiße Made, die sich durch Sandners Gehörgang frisst. Hört sich an wie eine surrealistische Variante von Nabuccos Gefangenenchor. »Die Erinnerung allein gibt uns Stärke zu erdulden, was uns hier bedroht«, hat Verdi einst gedichtet. Der verdeckte Ermittler ist beim vierten Schnaps, hilfreich unterstützt durch das zweite Bier. Falls die Erinnerung es nicht alleine packt.
Sein Thekennachbar versucht, ihn für eine Mär um den Radunfall eines Bauarbeiters zu gewinnen. Der Sandner hat den Einstieg verpasst und nickt mechanisch. Zu seiner Linken sind zwei Männer ins Gespräch verstrickt. Ein wieselgesichtiges Wesen nebst fransigem Kinnbärtchen redet lautstark auf einen kurz geschorenen Lederjackenträger ein, der das Gesagte mit finsterem Geschau kommentiert. Das Wiesel scheint ordentlich getankt zu haben. Wild fuhrwerken seine Arme herum, immer wieder wird der Sandner von ihm gerempelt. Der Ermittler beschließt, die Sache zu beschleunigen.
»Hier ist doch mal einer abgestochen worden?«, will er vom Nachbarn wissen.
»Was sagst?«
»A-b-g-e-s-t-o-c-h-en!«, plärrt der Sandner in die plötzlich eintretende Stille zwischen den Liedern hinein. Klassiker. Er hat den Schluss verpasst.
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