Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Bewegungen, als wäre sie betrunken. Aber davon kann keine Rede sein. Einen Moment verharrt sie noch in kniender Haltung, bevor sie sich wieder erhebt. Das Mädchen ist nah bei ihr. Es zittert. Kein Kind mehr. Es legt ihrer Mutter die Hand auf die Schulter. Beide starren stumm dem Auto hinterher. Es gibt nichts zu sagen.
Kurz überprüft der Hauptkommissar seine Wahrnehmung. Er hat nicht am Joint gezogen. Das ist Realität gewesen.
Es mag Situationen geben, in denen dich die Leute zur Weißglut treiben. Gerade solche Lumpen, die selber gern die Mitmenschen drangsalieren. In diesen Fällen ist auch der Sandner nicht geschützt vor spontanen Eingebungen, die ihn übers Ziel hinausschießen lassen. Da fährt ihm ein Blitz ins Hirnstüberl. Lämmer kommen anders daher. Aber eine wehrlose Frau an den Haaren herunterzureißen wie ein Viech, nur so zur Gaudi? Der Sheriff ist Menschenschinder erster Güteklasse. Ein Drecksack, aufgebläht vom Machtrausch. Im geistigen Notizblock des Hauptkommissars wird eine frische Seite aufgeschlagen. Noch steht da »unerledigt«.
Er hört, wie die Haustüre aufgesperrt wird und Schritte auf der Treppe, begleitet von Schluchzen. Langsam geht er die Stufen nach unten und trifft auf die zwei vor deren Wohnungstür. Scheint, als ob der Besuch des Sheriffs bei Slatkos Perle erfolgreicher verlaufen ist als gestern Abend. Zumindest aus polizeilicher Sicht. Mutmaßlich darf der Slatko gratis im Streifenwagen mitfahren. Wäre ihm zu wünschen, dass er heil am Bestimmungsort ankommt.
Das Mädchen verschwindet ohne ein Wort im Inneren der Wohnung.
»Ich hab es gesehen«, lässt der Ermittler die Frau wissen.
»Was?«
»Was der Bulle ...«
Sie winkt ab. »Der ist so. Was willst du? Pass lieber auf, dass der Scheißkerl dich in Ruhe lässt.«
Die Tür schließt sich hinter den beiden. Ruhe kehrt ein.
Von irgendwo ertönt türkische Musik. Ahmet Özhans »Gülü susuz seni aşksiz birakmam«. Der Sandner kennt es. Özhan ist der einzige Künstler, den sein Lieblingsgastwirt Ömer neben Elvis toleriert. Nicht eben die Art Songs, bei der dir dein Döner besser den Schlund hinunterrutscht. Die deutsche Entsprechung wäre für den Sandner der Roy Black. In seinem Laden treibt Ömer damit jugendliche Gäste auf die Straße. Ältere Semester singen dagegen gerne mal mit oder klatschen den Takt. Der Miran hat einmal gemeint, so stellt er es sich im Altenheim vor, beim bunten Abend. Vom Ömer kam nur die Bemerkung, dass ihn der Gedanke beruhigen sollte, das Essen wäre dann ja tadellos – sofern er im Alter noch Zähne im Maul hätte zum Kauen. Mit seiner vorlauten Klappe wäre das eher fraglich. Gesund und munter ins hohe Alter zu kommen, scheint im Harthof auch nicht an der Tagesordnung zu sein – insbesondere wenn die Polizei dich aufsucht.
D er Ermittler tritt vors Haus und schaut sich um. Zwei Mädchen in glänzendschwarzen Stretchhosen lümmeln an einer Holzbank und kichern, als sie ihn sehen. Werfen sich in coole Jungmädchenpose. Hände in die Seiten gestemmt, Hüften vorgereckt, wie ihre Trallala-Vorbilder. Eine streicht sich mit exaltierter Geste die Haare aus der Stirn. Ihre Freundin fummelt eine Zigarette aus der Schachtel. Keine Schule heute?
Der Sandner fängt ihren taxierenden Blick nicht auf, schlendert zum Nachbarhaus. Hier hat er also gewohnt, der mutmaßliche Mörder. Die Tür ist nur angelehnt. Drinnen ist er. Am Schwarzen Brett hängen diverse Mahnungen der Hausverwaltung bezüglich Müll, Lärm und Schmierereien an den Wänden. Jemand hat mit rotem Edding »Arschloch« auf eines der Pamphlete geschrieben. Die Telefonnummer des Hausmeisters ist unterstrichen, daneben steht mit Bleistift: »Ich blase jeden.« Es riecht nach verbranntem Gummi. Irgendwo über ihm knallt eine Tür. Kindergeschrei wird durch eine schrille Frauenstimme abgelöst. Die Sprache ist dem Sandner unbekannt. Harte, zischende Konsonanten. Zusammen mit wummernden Bässen ein experimentelles Hörspiel.
Ein junges Paar springt die Treppe herunter und wirft ihm ein synchrones »Guten Morgen« zu, bevor es sich nach draußen macht. Frisch, fröhlich und sauber kommen sie daher, gehüllt in bunte Stoffe und einer Wolke von Eau de Toilette. Nicht jedem haut der Morgen gleich ins Kreuz, manche streichelt er mit Samtpfoten in den neuen, üppigen Tag. Der Sandner blickt den beiden versonnen hinterher, bevor er sich wieder seinem Geschäft widmet.
Die Tatwaffe wurde in Fuhrers Kellerverschlag gefunden. Der
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