Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Polizist tappt die Treppe hinunter und zieht sein Mobilteil aus der Tasche. Zwei Minuten später kann er das Lagefoto des Messers auf dem Display betrachten. Der Jonny ist offenbar hellwach. Braver Bub.
Die eiserne Zwischentür ist nicht abgeschlossen. Weiter geht’s. Der Lichtschalter ist Makulatur. Er schiebt den daneben liegenden hölzernen Keil unter die Metalltür, um etwas sehen zu können. Einen Moment lauscht er. Alles still. Leise und verstohlen schleicht er den Gang entlang. Als könne in dunklen Ecken jemand auf ihn lauern. Er verwirft den dramatischen Gedanken. Allerhöchstens tummelte sich die eine oder andere Ratte im Gewölbe. Auf beiden Seiten stapelt sich hinter den Verschlägen Ausgemustertes und undefinierbar Brauchbares. Vom Grill über fransige Decken bis zu Plastikgerätschaften aller Art. Drei Fitnessbikes zählt er. Vorhangstangen, Skistöcke und diverse Holztrümmer ragen in den Gang, als liefe hier ein Konsolenspiel, bei dem es ums Ausweichen geht. Jede Berührung ein Leben weniger. Ein Abteil ist mit schwarzem Stoff abgehängt – wie eine Entwicklungs- oder Folterkammer – vor neugierigen Blicken geschützt.
Vor einem der Bretterverschläge geht der Hauptkommissar auf die Knie. Das muss Fuhrers Kellerabteil gewesen sein. An eine der Latten ist ein Stück brauner Pappe angenagelt. Ein »Fu« kann der Sandner darauf erkennen. Der Rest ist von Flecken überdeckt. Durch die breiten Ritzen könnte man das Messer problemlos ins Innere werfen. Keine artistische Leistung. Nicht weit von den Hölzern entfernt ist es gelegen. Ganz offen, sofort zu entdecken. Wenn es der Fuhrer selbst versteckt hat – nicht nobelpreiswürdig.
Wie er sich wieder aufrichtet, bemerkt er eine Gestalt hinter sich. Er ist zu sehr vertieft gewesen in die Messergeschichte. Seine Antennen waren nicht auf Empfang.
Eine Frau. Sie steht einfach da, die Arme verschränkt, und schaut ihm zu. Vielleicht schon eine ganze Weile. Jetzt sollte er einen erklärenden Satz auf Lager haben, aber ihm fällt nichts Gescheites ein.
»Mir sind zwei Euro daruntergerollt«, stammelt er. »Weil ich die Münzen immer ... in die Hosentasche einschiebe und wie ich ... na ja.«
Die Frau zieht bloß die Augenbrauen zusammen, holt einen Schlüsselbund hervor und sperrt das Abteil auf. Das muss die Fuhrer sein, sapperlot. Er weiß, dass sie Ende dreißig ist. Die enge Jeans, nebst zierlicher Figur, gibt ihr ein kindliches Erscheinungsbild. Allerdings rückt das Gesicht diesen Eindruck wieder gerade. Ernste Augen und betonte Kerben neben dem Mund zeugen davon, dass in ihrem Leben nicht nur die Sonne gelacht hat. Trotzdem eine Frau, die Männerblicke auf sich zieht, wahrscheinlich genau deshalb.
Der Sandner darf sie gerade von hinten betrachten, was seinen Eindruck nicht schmälert. Sie ist attraktiv. Auf ihre Art. Keine Unschuld vom Lande.
Unbedarfte Naivität ist nur für Leute reizvoll, die unbedarft und naiv sind. Weil da nichts Spannendes dahintersteckt. Ein leeres Blatt Papier brauchst du nur, wenn du es selber vollkritzeln willst. Als wenn du ein Gästebuch für dich allein hast. Vielleicht, weil die Furcht im Hinterkopf lauert, es könnte sonst etwas drinstehen, was du nie überschreiben kannst. Bei der Frau Fuhrer ist es kein leeres Blatt. Mindestens ein kleiner Roman. Und nicht alles ist leicht zu begreifen. Einiges davon hat auch das Amtsgericht aufnotiert. Jugendsünden. Da wirfst du nicht den ersten Stein. Fahren unter Alkoholeinfluss, Kreditkartenbetrug wegen Klamotten, Diebstahl wegen Kosmetika und Körperverletzung, weil sich eine andere vermeintlich an ihren Burschen rangeschmissen hat. Nase zweimal gebrochen und Schneidezähne ausgeschlagen hat sie der Rivalin, unter Zuhilfenahme des zufällig vorhandenen Toilettenwaschbeckens in einem Club nahe dem Hauptbahnhof. Sonst Kleinkram. Aber die letzten zehn Jahre war es vorbei mit dem derben Treiben. Nicht einmal den Kinderwagen falsch geparkt. Hausfrau, Mutter und Noch-Ehefrau eines verurteilten Mörders. Möglicherweise bald Witwe.
»Schau mer mal«, sagt sie, sich umblickend. »Ich seh nix liegen.« Angenehm tiefe Stimme, kein fiependes Mausilein.
»Vielleicht nach hinten gerollt. Nicht so wichtig. Wenn sie es mal zufällig finden ...«
»Sind Sie der Mieter aus dem Erdgeschoss? Ich hab gedacht, da käme jemand aus Togo – hat der Hausmeister zumindest gesagt.«
Immerhin wirft sie ihm ein Stichwort zu.
»Na, aus Togo bin ich nicht.«
»Die Togolesen hier sind alle
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