Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Ganze aussieht wie das Schnittmuster eines Narrenkostüms. Das könnte er jetzt gleich zusammenfieseln und überziehen. Stünde ihm ausgezeichnet. Er knüllt das Blatt zusammen und feuert es grantig in die Ecke. Wenn der Abend nicht einträglicher wäre, würde er seinen Auftritt beenden. Die Gage ist erbärmlich – vom Publikum ganz zu schweigen. Dem Brauner unter die Augen zu treten, um ihm mitzuteilen, dass seine Taschen leer geblieben sind, wäre keine leichte Aufgabe. Sie würden zumindest den Gestreiften vorladen, Yilmaz verhaften und die Dienstwaffe sicherstellen. Am besten gleich eine Fahndung nach ihm starten, ohne viel Federlesen. So hat er sich das nicht vorgestellt. Ganz und gar nicht. Aber manchmal schnippst du nur einen Kiesel ins Wasser und ganz unten in der Tiefe erwacht der gefräßige Leviathan, weil es an der Zeit ist. Und der macht sich auf den Weg.
D ie Wiesner ist auch auf dem Weg. Ins Planegger Villenviertel, mitten hinein in den Münchner Speckgürtel. Dorthin, wo die Wiesen fleißig begärtnert und gestriegelt werden und du in den abgestellten Autos als Kleinfamilie locker wohnen könntest. Allerweil luxuriöser als die Wohnwaben, in die Existenzminimalisten gestapelt werden. Eine Eule hat Planegg im stolzen Wappen. Das könnte sich der Doktor Gruber an die Praxistür nageln. Dass die Viecher die Ansitzjagd bevorzugen, passt perfekt zu ihm. Warten und auf die Beute lauern, falls die so unvorsichtig ist, einen Termin in seiner Praxis auszumachen. Und dann reinkrallen ins Fleisch. Bei der Wiesner sorgt der Gedanke für Gänsehaut.
Warum sie sich in den Zahnarzt verbissen hat, da steht die Logik vor einer weißen Wand. Mit dessen Mutter in Planegg hat sie telefoniert und ihren Besuch angekündigt. Die war überrascht gewesen, besonders, da die Polizistin klargemacht hatte, im Umfeld eines Mordes zu ermitteln. Sie wird es ihrem Sohn bestimmt aufs Brot geschmiert haben. Vielleicht fiebert bereits der familieneigene Anwalt seinem Auftritt entgegen.
Das zweigeschossige Haus der Grubers bietet keine Überraschung. An anderer Stelle im Ort könnte man es als Anwesen bezeichnen, am Ortsrand ist es Gleiches unter Gleichen. Sie läutet am Eisenportal, beantwortet brav die »Ja bitte?«-Frage aus dem Lautsprecher, und das Tor gleitet gut geschmiert zur Seite. Sie braucht circa einen Liter Benzin, bis sie hausnah den Wagen abstellen kann, und bekommt dabei botanisch Anspruchsvolles kredenzt. Insel Mainau en miniature.
Die Hausherrin erwartet sie auf der Treppe, die zur Haustür führt. In weißer Röhrenhose und Tennisschuhen. Im Gesicht dominieren harte, strenge Züge, als hätte sie den weizenblonden Haarzopf zu fest geschnürt. Ein altersloses Rundumpaket, das ihr da faltenlos entgegenlächelt.
Nach der Begrüßung führt sie die Gastgeberin ins Innere.
Die Ausstattung entspricht den Erwartungen der Ermittlerin. Wahrscheinlich vom Innenarchitekten gepimpt, bis die Nachbarn sich geißeln vor Neid. Natürlich Toskana-Flair. Lauwarme Farben. Keine geschmacklichen Ausreißer. Massive Hölzer. Alles vorhanden, um feinen Sinn zur Schau zu stellen. Exotische Masken und impressionistische Gemälde buhlen um Aufmerksamkeit. Sogar eine Cranachkopie auf hölzerner Tafel. Ein Altarbild, die Muttergottes samt Baby im Arm lächelt den Betrachter selig an.
Im Wohnraum dominiert Weiß. Vielleicht ist es nur ein Wartezimmer für unbedeutende Besucher. In einer Vitrine gibt es chinesisches Porzellan, daneben einen zwei Meter in die Höhe ragenden versteinerten Baumstamm zu bestaunen. Der Wiesner wird kalt. Als stünde sie in einer Gruft. Nichts Anheimelndes ist hier zu Hause, dem Gebäude wurde das Messer in die Eingeweide gestoßen. Hier ist nichts mehr lebendig.
Frau Gruber steuert eine lederbezogene Sitzlandschaft an und weist mit einladender Geste auf einen der Sessel. Gegenüber lässt sie sich nieder. Den Rücken gerade wie der fossile Stamm, der Kopf deutet eine leichte Schräge an, ganz Aufmerksamkeit. Gelernt ist gelernt, die Etikette scheint ihre Bibel zu sein. Sie befüllt zwei grazile Designertassen mit grünem Tee.
»Ich bin völlig ahnungslos, wie ich Ihnen weiterhelfen könnte«, sagt sie.
Wissen Sie, dass Ihr Sohn seine Praxis nutzt, um schlecht situierte Patientinnen zu Sexspielen zu nötigen? Das fragt sie die Wiesner nicht – aber sie fragt es sich. Ihrem Gegenüber wäre das wahrscheinlich keinen Gedanken wert – solange niemand darüber tuschelt. Ihr lieber Baltus hätte halt einen Hang
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