Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
zur Exzentrik. Liebenswerte Marotte. Wen kümmert es?
»Sie leben hier mit ...?«
»Mein Mann ist vor drei Jahren verstorben. Mein Sohn und meine Schwiegertochter bewohnen das Erdgeschoss. Warum ist das für Ihre Ermittlungen von Bedeutung?«
»Sehen Sie, eine der Patientinnen Ihres Sohnes ist in einen Mord verwickelt, und wir gehen allen Verbindungen nach – das müssen wir. Routine.«
»Ich verstehe – aber Sie haben doch schon mit meinem Sohn gesprochen.«
»Ja. Es geht hier um ein zwielichtiges Milieu. Sie sind wohlhabend. Vielleicht hat sich hier einmal jemand herumgetrieben, war auf dem Grundstück? Irgendetwas Auffälliges?«
Die Frau nippt an der Teetasse, erweckt den Anschein, über die Frage nachzudenken.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Wollte jemand meinen Sohn erpressen?«
»Könnte das denn jemand?«
»Natürlich nicht, aber Sie sprachen von zwielichtigem Milieu. Ich habe nie verstanden, warum mein Sohn in dieser Gegend seine Praxis eröffnen wollte. Er hätte andere Möglichkeiten gehabt. Mama, diese Leute brauchen auch die beste Behandlung, so ist sein Credo. Ich hoffe, dass daraus jetzt keine Schwierigkeiten entstehen.«
»Schwierigkeiten?« Die Wiesner lehnt sich zurück und mustert ihr Gegenüber. Der Begriff »diese Leute« ließe vermuten, der Gruber wäre eine dentistische Mutter Teresa in den Slums von Mumbai. Als solche kann er sich auf den Cocktailabenden hier generieren. Der aufopferungsvolle Sohnemann behandelt die armen Zahnkranken. Kurz vor der Seligsprechung, der Mann. Nur noch ein Wunder vollbringen müsste er. Wurzelbehandlung durch Handauflegen oder so.
Von draußen sind Schritte zu hören. Spitze Absätze auf Parkett. Dann öffnet sich die Tür einen Spalt.
»Komm rein, Madlen.«
»Ich wollte nicht stören.«
»Frau Oberkommissarin Wiesner – meine Schwiegertochter, Madlen Gruber.«
D er Sandner wird auf üppig hergezüchtete Pflanzenwelt verzichten müssen. Dem Vater des ermordeten Wessold will er einen Besuch abstatten. Einen Eindruck will er sich verschaffen, vom Ermordeten. Einmal nicht mit einem seiner zahlreichen Feinde reden. Bis jetzt hat er den Toten nur als Strichmännchen präsent, eindimensional. Das reicht ihm nicht. Der alte Wessold wohnt im Hasenbergl. Der Stadtteil kommt nicht als Blumenwiese daher. Früher haben sie hier auf einem Lehmhügel die kurfürstlichen Hasen herangezüchtet, als Flintenfutter für die Jagdgesellschaft. Heute hoppelt nichts mehr mit langen Löffeln umher. Höchstens infolge falscher Erziehungsmaßnahmen. Von goldenen Löffeln ganz zu schweigen. Auch im Hasenbergl zeigt sich, dass immer nur die Leut den Gürtel enger schnallen sollen, der ihnen längst vom Leben um die Ohren gezurrt wird. Im nahe liegenden Naturschutzgebiet Panzerwiese hat mancher ein Gemüsebeet angelegt, für den Mittagstisch. Mit viel Glück, Geduld und Schlinge gäbe es Rebhuhn dazu.
Weit hat der Sandner nicht fahren müssen. Eine Station mit der U-Bahn und dann mit dem 60er-Bus hoch in den Münchner Norden. Dorthin, wo die weißen Wohntürme sich gen Himmel recken wie die Eisriesen. Zumindest hast du eine gute Aussicht. Der Bus ist prall befüllt. Greise, Paare, Kinder, Säuglinge verschiedenster Herkunft. Der Sandner hätte noch ewig mitfahren können und einfach nur beobachten. Ein gutes Gefühl, trotz der Enge. Bunter Trubel ist ihm lieber als graues Einerlei. So gesehen hatte der Turmbau von Babel auch etwas Gutes. Du musst dir mehr Mühe geben, deinen Mitmenschen zu begreifen. Hält das Hirn wach. Dem einen oder anderen hat das Leben Furchen eingemeißelt, die du nicht bekommst, wenn du es behaglich hast und Teller und Geldbörse immer voll sind. Beneiden darfst du die Leut trotzdem, die hier residieren dürfen, weil keine Legionen von Coffee Lounges und Firlefanzboutiquen aus dem Boden schießen wie die Fliegenpilze. Ein Café ist ein Café oder höchstens eine Brotzeitstubn. Und auf den zweiten Blick findest du hier wohnliche Plätze mit Baum und Strauch drumrum, wo die Leut zufrieden scheinen wie Janoschs kleiner Tiger: »Zu Hause ist’s doch am schönsten.« Da willst du weder nach Panama oder gar Schwabing, wo auf einen Hektar, statistisch gesehen, mehr Leut kommen, wie Ameisen auf einen Esslöffel passen.
Nahe der Bushaltestelle ist der Sandner am Ziel. Ein weißer Wohnklotz türmt sich da auf, umgeben von seinen Brüdern.
Er tritt vor der Haustür von einem Fuß auf den anderen. Wessold. Eine Minute lang drückt er immer wieder auf den
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