Der Tod kommt in schwarz-lila
Wilhelmshaven zurückkehrte, waren die Büros der Kollegen verwaist. Nur Margot Martinson saß noch im Konferenzraum. Sie brütete über den Akten und arbeitete am Persönlichkeitsprofil des Täters.
»Sie wollen heute wohl gar keinen Feierabend machen«, meinte Trevisan.
Martinson blickte auf.
»Keinen Ehemann, keinen Verlobten, keinen Freund, der auf Sie wartet? Schließlich ist Wochenende.« Trevisan musterte die Psychologin.
»Niemand wartet auf mich, ich lebe alleine«, antwortete sie.
Trevisan spürte, dass ihr die Unterhaltung nicht behagte, und wechselte das Thema. »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
Martinson schüttelte den Kopf, dann warf sie entmutigt ihren Bleistift auf den Tisch. »Ich komme einfach nicht weiter! Sobald ich denke, ich hätte einen Ansatzpunkt für ein Täterprofil gefunden, wird dieses Gedankenmodell durch andere Indizien und Ermittlungsergebnisse zerstört.«
Trevisan begriff nicht, was sie meinte. Er blickte sie fragend an.
»Der Täter weist so ein zerrissenes Persönlichkeitsprofil auf, dass Verhaltensprognosen unmöglich sind. Religionswahn, aber auf der anderen Seite keine Spur von missionarischem Handeln. Er agiert im Geheimen. Er führt ein total unstrukturiertes Leben, doch bei den Morden plant er jedes Detail, überlässt nichts dem Zufall und geht äußerst konzentriert vor. Er weist Züge einer schwersten Schizophrenie auf, hat sich aber dennoch so weit unter Kontrolle, dass es ihm immer wieder gelingt, rechtzeitig unterzutauchen und ruhig zu bleiben, so dass er keine Aufmerksamkeit erregt. Seine psychotischen Symptome müssen für ihn manchmal überwältigend sein, doch er schafft es anscheinend, über diese tief gehenden Phasen ohne fremde Hilfe hinwegzukommen. Etwas scheint ihm dabei zu helfen, doch Medikamente sind es wahrscheinlich nicht. Der Mord an Grevenstedt spricht für motorisch koordiniertes Handeln und geistige Beweglichkeit. Sein innerer Antrieb ist stärker als die Summe aller Persönlichkeitsstörungen, die sein Leben beherrschen. Doch leider vermag ich nicht einmal zu erahnen, was dahinter steckt. Seine Psychogenese erscheint mir derart verworren, dass es mir unmöglich ist, die Hypostase klar herauszuarbeiten.«
Trevisan blickte verwirrt. »Das ist mir zu viel Fachchinesisch.«
»Entschuldigen Sie. Ich meine nur, es gibt kein klares Bild.«
»Vielleicht machen ihn seine Erinnerungen einfach nur krank«, sagte Trevisan.
»Sie denken an eine Posttraumatisierung?«
»Ich meine, er mordet zum einen, um sich selbst oder sein Vorhaben zu schützen, und zum anderen, um seine Art der Rache zu üben«, resümierte Trevisan. »Einmal passiert es aus einem Sachzwang heraus, das andere Mal verfolgt er einen genauen Plan.«
»Keine gesicherten Erkenntnisse, zu viele Mutmaßungen«, antwortete sie mit deutlicher Resignation in ihrer Stimme. »Auf dieser Basis kann ich keine Hilfe sein. Meine Aufgabe ist es, die Ermittlungen zu unterstützen, indem ich Hinweise auf das Lebensumfeld, die Charakterzüge und Persönlichkeitsstrukturen, insgesamt den Habitus des Täters gebe. Aber hier hab ich versagt. Am Montag werde ich zu Frau Schulte-Westerbeck gehen und sagen, dass ich nicht weiterkomme. Über diesen Mann lässt sich kein genaues Psychogramm erstellen.«
»Warten Sie erst einmal ab«, erwiderte Trevisan. »Sie werden mit Sicherheit noch gebraucht.«
»Ich werde Ihnen aber nicht weiterhelfen können!«
»Ziehen Sie Ihre Jacke an, wir gehen jetzt zusammen etwas trinken.«
»Aber ich habe …«
»Keine Widerrede«, befahl Trevisan mit einem Lächeln. »Ich habe heute etwas Wichtiges herausgefunden und Sie haben wesentlich dazu beigetragen. Ich bin zwar kein Psychologe, aber ich weiß trotzdem, was Ihnen jetzt fehlt. Sie müssen einfach mal raus. Und nun Ende der Diskussion!«
*
Er spürte, dass etwas nicht stimmte. Es war, als wäre etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Es nagte in ihm. Er wusste nicht, was es war, aber dieses Gefühl der Machtlosigkeit wurde langsam unerträglich. Als es draußen zu regnen begann, ging er zurück ins Haus. Er betrat das Schlafzimmer. Die Kerzen verströmten einen angenehmen Duft. Er liebte diesen Geruch seit seiner Kindheit. Es lag etwas Friedvolles darin. Er schaute auf den Altar. Der kleine Dackel auf dem Bild gefiel ihm. Er hatte sich schon immer so ein Tier gewünscht. Jemanden, für den er die Verantwortung tragen durfte. Er schalt sich selbst einen Narren. Hatte er nicht genug Verantwortung zu tragen? Die
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