Der Tod kommt in schwarz-lila
reagierte sofort und griff nach dem Funkgerät.
»… ja, zwei Leichen. Und überprüfen Sie gleich, auf wen das Schiff zugelassen ist. Die Kennung des Schiffes ist WHV 221, der Name ist Helge! Haben Sie verstanden? Helge!«
5
Den ganzen Tag über hatte er vor der Firma in Aurich gesessen und Pläne geschmiedet. Doch die Zeit war noch nicht reif. Er musste warten, ihn belauern, durfte ihn nicht mehr aus den Augen lassen. So lange, bis er endlich zuschlagen konnte.
Er hatte die Tageszeitung gelesen. Vom Mord auf Wangerooge war schon auf der ersten Seite des Wilhelmshavener Tageblatts berichtet worden. Es war ein guter Bericht. Die Worte hatten ihm gefallen. Die Polizei tappte noch im Dunkeln, hieß es da, aber das hatte er auch erwartet. Er hatte keine Spuren hinterlassen.
Der Kerl hatte den Tod verdient. Niemand bricht ungestraft ein Tabu. Blut für Blut. Eine grausame Wahrheit, dachte er. Das fratzenhafte Gesicht war in den unendlichen Tiefen seiner Seele versunken. Nur das kleine, runde, blaue Gesicht hatte gelächelt. Zum ersten Mal. Er genoss die Ruhe. Auch Mutter war jetzt glücklich. Die Zeit des Leidens war für sie vorbei. Vielleicht würde auch der Bruder bald aus der Dunkelheit auftauchen. Alles wäre wie früher. Sie wären wieder eine Familie.
Er erinnerte sich gerne an die Zeit, als sie auf der Insel gewohnt hatten. Die grüne Insel. Dort hatte er mit dem kleinen Hund der Nachbarn gespielt. Wie hieß er noch? War sein Name nicht Asta, oder so ähnlich? Er wusste es nicht mehr. Doch immer, wenn er daran dachte, roch er das frische Gras und die salzige Luft.
Mareike war immer in seiner Nähe gewesen. Ein so zartes und hübsches Mädchen mit langen blonden Zöpfen, doch leider hatte sie oft gekränkelt.
Allesamt sollten sie bezahlen. Die Rechnung war noch lange nicht beglichen. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach fünf. Eine Schar von Menschen hielt auf den Parkplatz vor der Firma zu. Wie viele mochten es wohl sein? Woran mochten sie denken? Er verwarf seine Grübeleien und versuchte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wichtig war nur einer unter ihnen, ein ganz bestimmter. Einer, der Schuld auf sich geladen hatte, und die Zeche war noch nicht bezahlt.
Das grüne Auto fuhr an ihm vorbei. Er startete den Motor. Heute war Montag, Ruhetag. Es würde nichts mehr passieren. Heute nicht. Er wusste, wohin der Mann wollte.
Vorsichtig nutzte er eine Lücke und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Der Auspuff seines Wagens war etwas laut, aber ansonsten war das Auto noch gut in Schuss. Er folgte dem grünen Audi und hielt genügend Abstand. Der Wagen bog in Richtung Jever ab. Es war immer die gleiche Strecke. In Altgarmssiel endete die Fahrt. Der Mann fuhr den grünen Wagen in die Garage und verschwand im Haus.
Er wartete noch ein paar Minuten, bis er weiterfuhr. Die Kopfschmerzen waren zurückgekehrt.
*
Trevisan kannte den Weg genau. Er war ihn schon oft genug gegangen. Seine Schritte hallten in dem langen Gang wider. Kaltes Neonlicht durchflutete die Kellerräume. Die weiß gekachelten Wände strahlten den sterilen Charme von Desinfektionsmitteln aus.
Trevisan mochte ihn nicht, diesen Ort.
»Hallo, Trevisan, wir sind bald so weit«, begrüßte ihn Doktor Mühlbauer, der Chefpathologe des Oldenburger Instituts für Gerichtsmedizin, mit deplatzierter Fröhlichkeit. »Nehmen Sie doch erst einmal Platz, bis wir die Vorbereitungen abgeschlossen haben.«
Trevisan nickte stumm und setzte sich auf den kalten Plastikstuhl in der Ecke. Auf dem Seziertisch lag Gablers Leiche. Sie war mit einem grauen Laken abgedeckt.
Was hatte Gabler kurz vor seinem Tod erlebt? War er tatsächlich einem wahllos mordenden Psychopathen in die Arme gelaufen? Gedankenverloren blickte Trevisan in das deprimierende Grau des Lakens. Alles nur Zufall, Schicksal? Allerdings musste er auch Dietmar Petermanns Theorie in Betracht ziehen, dass Gablers pädophile Neigung der Grund für dessen Ermordung sein konnte. Die Kollegen auf Wangerooge hatten ganz in der Nähe zum Fundort der Leiche einen Unterstand entdeckt. Dieser bestand aus Tarnnetzen und Reisig und war so in den Dünen angelegt worden, dass er dem Mörder ohne weiteres als Versteck gedient haben konnte, während er seinem Opfer auflauerte.
Doch auch Gabler selbst konnte das Bauwerk errichtet haben. Schließlich wollte er scheue Vögel fotografieren. Trevisan hatte oft in Tierdokumentationen beobachtet, wie ein routinierter Fotograf vorging, um an
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