Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod macht den letzten Schnitt

Der Tod macht den letzten Schnitt

Titel: Der Tod macht den letzten Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
Vom Netzwerk:
gutgeschrieben worden waren. Er hastete über den
Bürgersteig, schob seine Plastikkarte in den Schlitz der Wand, tippte sein
Begehren ein und wartete vertrauensvoll darauf, daß der Microchip gehorchte.
    Statt dessen rutschte die
Panzerglasscheibe nach unten, und hinter ihr schaltete GEÖFFNET sich zu
GESCHLOSSEN. Mr. Pringle war gekränkt. Er rüttelte, aber die Scheibe rührte
sich nicht. Seine Finger kratzten am Glas. Nichts. Es überkam ihn der
Katzenjammer, nicht nur fünfundsechzig, sondern auch ein nouveau pauvre zu
sein. Zurücktretend hob er seinen Schirm und drosch auf die Scheibe ein.
    Der Microchip rächte sich. Die Scheibe
hob sich um einen Spalt, damit er ja das würgende Geräusch hörte, und durch den
Schlitz flatterten die ausgespienen Plastikfetzen. Eine Mitteilung in
pointilistisch roten Punkten bestätigte, daß Mr. Pringles Begehren gelöscht
sei.
    Niedergeschlagen setzte er seinen Weg
über die John Prince’s Street fort. Unbehagen wegen Ashley Fallowfield befiel
ihn wieder, während er sich verbissen über den Oxford Circus durch
knöcheltiefen Abfall und weggeworfene Fast-food-Verpackungen den Weg bahnte. Er
war nicht nur seines unentbehrlichen Stücks Plastik beraubt, London kam ihm
jedesmal bedrohlicher und verdreckter vor. Die Leute waren doch früher nicht so
mißmutig gewesen?
    Soho war für ihn kein vertrautes
Pflaster, sehr wohl aber kannte Mr. Pringle dessen Ruf. Es überraschte ihn
nicht, Fotografen und Streifenwagen zu sehen. Interessanter fand er da schon
die Parkwächter, die gerade einem Rolls-Royce die Kralle anlegten. Er blieb
stehen und schaute zu. Es tat richtiggehend gut, zur Abwechslung Leute zu
beobachten, die Spaß an ihrer Arbeit hatten. Er lüftete seinen Hut für eine
fröhliche kaffeebraune Dame, die einen «Nur keine Panik»-Zettel an die
Windschutzscheibe klemmte. «Entschuldigen Sie... ich suche Rainbow Television.»
    Sie wies mit dem Daumen nach rückwärts.
«Wenn der denen gehört, kannst du ihnen ja gleich die frohe Botschaft
überbringen, Schätzchen.» Ihm fiel erst jetzt der Eingang mit dem fünffarbigen
Bogen auf, und, um einen Lieferwagen ohne Aufdruck mit weit geöffneten Türen
herumgehend, stieg Mr. Pringle die Treppen hoch.
    In der Halle standen Uniformierte, aber
so leicht ging er niemandem auf den Leim. Das hier war eine Traumfabrik. Er war
schon einmal in einem TV-Studio gewesen und wußte, daß Uniform tragende
Personen verkleidete Schauspieler waren.
    Mr. Pringle stellte sich taub, blickte
um sich und sah, wie eine Doppeltür mit der Aufschrift STUDIO, BITTE RUHE
plötzlich aufschwang. Du liebe Zeit, die wollten wohl filmen. Oder sollte das
eine Probe sein?
    Drei Männer erschienen. Zwei von ihnen
rollten ein etwa zwei Meter langes Gestell auf Rädern heraus, auf dem ein
großer grüner Plastiksack lag. Mr. Pringle suchte noch mit den Augen nach der
Kamera, die doch irgendwo versteckt sein mußte, als der dritte Mann abrupt
stehenblieb. «Wer hat ihn hier reingelassen?» herrschte Detective Sergeant
Mullin einen der Polizeibeamten an, während Mr. Pringle auf der Treppe neben
dem Lift schon ein vertrautes Gesicht entdeckt hatte.
    «Mr. Fallowfield?» Er zögerte
weiterzugehen, weil das Haar soviel goldener war als in der Erinnerung, machte
dann aber ein paar Schritte, bis das fahrbare Gestell ihm den Weg versperrte.
Er erkundigte sich noch einmal. «Sie sind doch Mr. Fallowfield, Sir?» Er hatte
ihn jetzt genau erkannt und wunderte sich nur, warum Ashley Fallowfield wie
angewurzelt am Treppenabsatz stehenblieb. Er entledigte sich kurz entschlossen
seines Schirms und seines Köfferchens, indem er beides auf dem Gestell ablegte,
beugte sich vor und streckte die Hand aus. «G. D. H. Pringle. Ich freue mich,
Sie wiederzusehen, Mr. Fallowfield. Entschuldigen Sie, daß ich mich ein wenig
verspätet habe.»
    Sie starrten auf seinen Schirm. Zu spät
entdeckte Mr. Pringle die Reste eines Hamburgers an der Schirmspitze. Er
schaute sich verlegen nach einem Papierkorb um und zeigte schließlich auf den
grünen Sack. «Ist der vielleicht für Müll?»
    «Ich an Ihrer Stelle ließe die Finger
davon, Herzchen», sagte Ashley eilig. «Es würde Margarite nicht gefallen. Sie
stand mehr auf Rosen.»
    Vielleicht weil niemandem eine
angemessene Entgegnung einfiel, herrschte Schweigen. Mr. Pringle spürte
plötzlich das kalte Metall durch die Hosenbeine. Sein Hirn rechnete das
Gestell, dessen Länge, dessen Breite und den stumpf-olivfarbenen Plastiksack
zusammen —

Weitere Kostenlose Bücher