Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
als ich die wuchtige Frau Knöppel an der Fleischtheke stehen sehe. Ich versuche sofort die Richtung zu ändern, doch für eine Flucht ist es zu spät. Sie hat mich bereits gesichtet, und es dauert keine halbe Minute, da werde ich auch von ihr schon abgefangen.
«Aaach, hallo Frau Knöppel», tue ich freudig überrascht.
«Na, Herr Bröhmann, frei heute?»
Niemand rollt das «r» so oberhessisch wie Frau Knöppel, wenn sie Brrrrröhmann sagt. Sie muss beim Friseur gewesen sein. Eigentlich trägt sie seit Jahrzehnten die klassische Vogelsberger Alt-Damen-Frisur, wetterfest und unzerstörbar, doch heute kommt sie wesentlich kecker geföhnt und getönt daher. Auch weht mir ein eher unknöppeliger Haarspray-Duft entgegen.
«Nein, leider nicht. Ich hatte einen Termin hier», antworte ich und versuche nun gehetzt zu wirken, indem ich meinen Einkaufswagen ein wenig nach vorne bewege.
«Soso?» Da war es wieder, dieses «Soso». Es kommt immer. Wie sie dieses «Soso» ausspricht, da schwingt eine ungute Mischung aus Neugierde, Skepsis und Kritik mit.
«Och, Sie Ärmster, und dann müsse Se zwischedorsch auch noch einkaufe?», blökt es mit wie immer zu lauter Stimme aus ihr.
Ich grinse ein bisschen, nicke ihr zu und wage einen unbeholfenen Versuch, mit meinem Einkaufswagen an ihr vorbei in Richtung Kühlregal zu fahren. Doch Frau Knöppel lässt mich, das ist jetzt klar, so schnell nicht wieder frei.
«Ihre Frau seh isch ja als und alsemal im Park. Die ist ja als am Laufe, was? Die hab isch hier net mehr einkaufe gesehe, seit die wieder daheim ist? Oder?»
«Tja», nuschel ich. Was soll man da auch sagen?
«Es geht einen ja nix an, sach isch immer, gelle, aber bei viele von dene junge Familie bin isch mir net so sischer, ob da nix bei de Kinner uff de Strecke bleibt, wenn die Fraue zum Arbeite gehe. Und sind mir mal ehrlich, teilweise net nur halbtags … na ja jeder so, wie er meint, wie es richtisch ist, sach isch immer.»
Sagt sie immer.
Sie fixiert mich. Ich blicke auf die Hautlandschaft zwischen Kinn und Brust und frage mich, wo bei Frau Knöppel so ungefähr der Hals beginnt.
«Isch mein, das muss ja jeder für sisch selber wisse, aber wenn isch seh, wie viel Männer so wie Sie hier noch nebe der Arbeit einkaufe müsse, kerle kerle.»
Vehement schüttelt sie ihren Kopf. «Ihre Frau hat wahrscheinlisch kaa Audo net zum Einkaufe, was?»
Es gehört zu meinem Lebensziel, irgendwann auf diese Art Fragen nicht mehr zu antworten, Menschen wie Frau Knöppel einfach mal stumm verhungern zu lassen, ohne blöd zu grinsen oder zu nicken. Doch ich bin noch nicht so weit. Frau Knöppel möchte auch niemand zur Feindin haben. Sie wohnt zwei Straßen von uns entfernt, und sie weiß im Bereich zwischen Nidda und Schotten einfach alles! Oder sie glaubt es zu wissen. Ich treffe sie immer mal wieder bei Hundespaziergängen. Ihr Hund ist genauso breit wie lang und hat kein Vorne und kein Hinten. Meine ständige Furcht ist, dass er ausgerechnet dann, wenn ich mal neben ihm stehe, platzt.
«Nein, stimmt, im Moment hat sie kein Auto», antworte ich also gegen meinen Willen.
«Soso. Da gehtse bestimmt aach bald widder in die Schul, was?»
«Tja, mal sehen …»
«Na ja, es geht einen ja auch nix an, gelle?»
Stimmt, denke ich.
«Und dann habbe Se ja auch noch ein neue Mitbewohner, was?»
«Wie?»
«Ei, die Melli hat jetzt immer so ein Kerlebursch dabei. Die fange ja aach immer früher an, was? Aus de Kinnder werde Leut, sach ich immer.»
«Tja, ja …»
«Aber Ihre Melli tut einen wenigstens immer noch schön grüße. Wenn ich da an den Bub von dene Schusters denke … Wisse Sie, was bei dene los ist? Man sieht die gar net mehr, die Schusters. Die müsse aach viel um die Ohre habe. Na ja, es geht einen ja nix an, gelle, aber vielleicht sind die aach ein paar Woche verreist. Die Hecke ist aach noch net geschnitte. Na ja, das muss ja jeder für sich selber wisse, gelle?»
«Ja.»
«Nu ja, finanziell wenigstens muss es ja ganz gut laufe bei dene Schusters, was?»
«Kann sein, weiß nicht.»
«Doch! Isch mein, eigentlich hat einen das jet net zu interessiere, gelle, aber drei Audos in fünf Jahr’n … das kann sich aach net jeder leiste. Nu ja, jeder muss selber wisse, was er tut, was?»
«Hmm.»
«Es soll ja jeder mit seiner eigene Fassong glücklisch werde, sach isch immer.»
«Genau.»
Dann erspäht sie ein neues Opfer, und ich bin gerettet.
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9. Kapitel
D a bist du ja endlich,
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