Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
ihn ab.
Noch für den gleichen Nachmittag verabrede ich mich mit Stefanie zu einem Spaziergang auf dem Hoherodskopf, der touristischen Topadresse des Vogelsbergs. Berlusconi, der den Rücktritt seines Namensvetters im Autoradio gelassen zur Kenntnis nimmt, sabbert und haart souverän auf den Autorücksitz, während ich den Parkplatz ansteuere und dabei fast ein paar rüstige Rentner in enger Jan-Ullrich-Telekom-Gedächtnisausrüstung über den Haufen fahre. Von weitem sehe ich die trotz allem immer noch schöne und reizvolle Stefanie auf mich warten. Wir begrüßen uns mit einer flüchtigen Umarmung und schreiten in Richtung Taufsteinhütte. Ich erzähle ihr kurz und sachlich von Faton Thaqis Festnahme.
«Wie bitte?», fragt sie entgeistert. «Ihr habt Faton festgenommen?»
«Ja», antworte ich, «er hat Lasse bedroht und ihn vermutlich zu den Anschlägen gezwungen.»
Darauf lacht sie wirr. Warum, ist mir nicht klar.
«Es war definitiv Faton Thaqis Handy», sage ich trotzig.
«Tut mir leid, Henning, aber ihr seid mal wieder komplett auf dem Holzweg. Faton liebt Lasse. Er war und ist für ihn wie ein großer Bruder. Das ist so was von verdreht, was hier läuft. Das ist doch alles nicht auszuhalten.»
Ich versuche Stefanie mit unbeholfenen Handgriffen an ihrem Oberarm zu beruhigen, was mir nicht wirklich gelingt.
«Weißt du, was diese Jungs alles durchmachen mussten? Erst die Kriegserlebnisse in ihrer Heimat und die Flucht, dann der Verlust der Eltern, die wieder in den Kosovo zurückgingen. Weißt du, was das für Jungs im Teenageralter bedeutet?»
Ich nicke stumm, ohne es wirklich zu wissen.
«Die haben fünf Jahre bei uns gelebt, auch nach Ende des Asyls. Gregor hatte gute Kontakte zum Jugendamt, sodass sie bei uns wohnen bleiben konnten. Sie haben ihre Schulabschlüsse gemacht, ihr Bestes gegeben. Doch es sind auch ganz normale Jungs gewesen. Faton wurde einmal beim Kiffen erwischt und dann später noch einmal beim Klauen eines Schnapsfläschchens im Einkaufsmarkt. Weißt du, was danach hier los war? Wie die Leute am Rad gedreht haben? Anonyme Drohbriefe haben wir bekommen, die Zeitungen waren voll mit Leserbriefen. Die Jungs waren in Schotten nur so lange geduldet, wie sie sich wie Engel verhielten. Nun kamen sie alle aus ihren Löchern, all diese rechtschaffenen Bürger, die das Kirchenasyl von Beginn an kritisch beäugt hatten. Und ich sage dir, die Jungs haben das so toll weggesteckt. Mergim, der Ältere, hat sogar Abitur gemacht, und Faton hat direkt nach der Mittleren Reife eine Wohnung gefunden und einen Ausbildungsplatz bekommen. Er hat sich immer rührend um Lasse gekümmert. Bis heute halten die beiden Kontakt. Und ausgerechnet Faton soll das nun Lasse angetan haben? Vergiss es!»
Darauf schweigen wir eine Weile. Berlusconi zieht wie immer an der Leine, bis ich Verspannungsschmerzen an der linken Schulter spüre. Am Waldrand nehmen wir auf einer klammen und morschen Holzbank Platz und blicken eine Weile schweigend in die Vogelsberger Weite.
«Ich möchte gerne gleich mit Lasse darüber reden», sage ich. «Vielleicht beendet er ja sein Schweigegelübde, um Faton zu schützen, falls der es wirklich nicht war.»
«Henning, er war es nicht. Definitiv.»
Es ist nicht der richtige Augenblick, diese Affäre weiter zu befeuern, denke ich. Nein, das ist es nicht.
Als ich eine halbe Stunde später wieder im Auto sitze und die Mailbox abhöre, macht sich in mir eine weitere Unbegeisterung breit:
Faton Thaqi hat Teichner im Polizeirevier zwischen die Beine getreten und ist nun auf der Flucht. Du liebe Güte. Jegliche Energie sackt ins Bodenlose ab und macht Platz für fröhliche psychosomatische Störungen. Mir wird schwindelig, und dumpf drückt die Memme in mir schmerzhaft gegen meine Brust. Ich halte in einer kleinen Parkbucht, versuche mich neu zu sortieren, was mir nicht gelingt. Ich steige aus, rauche konstruktiv zwei Zigaretten hintereinander und raffe mich dann doch auf, zu Assmanns zu fahren, um mit Lasse über Faton zu sprechen.
Lasse blickt mich mit aufgerissenen Augen an, schüttelt wild seinen Kopf und schreit: «Nein, nein, nein, das stimmt nicht. Nicht Faton, nicht Faton …» Dann fängt er heftig zu weinen an. Stefanie nimmt ihn in den Arm und redet beruhigend auf ihn ein, während ich ratlos danebenstehe. Stefanie bringt ihn in sein Zimmer, ich lehne mich erschöpft an die Wohnzimmerwand. Nach ein paar Minuten kehrt sie zurück, blickt mich mit ernster Miene an und sagt mit
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