Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
zurück, klopft sich dreimal auf die Brust, rülpst und fügt daraufhin noch ein «Uff» hinzu.
«Ei, de AA macht doch die ganze Organisation, da haut der doch net freiweillig ab», fährt Sebi fort.
Nun löst sich auch Müllo etwas aus seiner Imstuhlhängehaltung. «Ei, und außerdem isser doch dieses Jahr der Watz», verkündet er, erstmals mit lauter klarer Stimme.
«Der bitte was?»
«Ei, der Kirmeswatz!»
«Der Kirmeswatz?», wiederhole ich tonlos.
Nun bringt sich auch Sebi wieder ein und gerät dabei nahezu in Wallung.
«Ei, mir wähle doch jedes Jahr de Watz. Der Watz, des ist der, wo aach de Kirmesruf macht.»
Mit großen Augen blicke ich auf die beiden Söhne der Region, die mir hier Einblicke in eine Kultur verschaffen, die mir, obwohl direkt vor der Haustür, bisher gottlob verschlossen blieb.
Voller Eifer fragt mich Sebi nun: «Wisse Sie echt net, wie de Kirmesruf geht?»
Wahrheitsgemäß verneine ich.
Sebi und Müllo blicken sich kurz an, nicken sich zu, dann sagt Sebi mit leuchtenden Augen:
«Ich mach jetzt mal de Watz, o.k. und de Müllo macht die annern. O.k.? Auf geht’s.» Dann schreit er:
«Wem is die Kirmes?»
«Uns!», blökt Müllo. Und in diesem launigen Wechselspiel geht das nun weiter:
«Un sie werd ge
halte
Sie werd gehalte wej –
immer
Dies Jahr noch viel –
schlimmer
Ferdisch –
ab
Babala –
bab
Was sin mir –
Lumbe
Was saufe mir –
Humbe
Was lutsche mir –
Klumbe
Was rauche mir –
Stumbe
Zicke Zacke, Zicke Zacke –
Heu Heu Heu
Was frisst die Kuh, was scheißt die Kuh –
Heu Heu Heu
Was hat die Polizei im Kopp –
Heu Heu Heu
Un die Mädsche unnerm Rock –
Heu Heu Heu
Hippi –
Tscha
Hippi –
Tscha
Hippi –
Tscha, Tscha, Tscha, o a Mambo olé
Un wenn die Stern vom Himmel falle –
unser Kirmes werd gehalte
Kirmesbuschen 2011, wo seid ihr –
Hier
Was saufe mir –
Bier
Was saufe die Annern –
Kaba, Kaba hält sie gesund
Prost Gemeinde –
Prost Herr Saufmeister
Kirmesburschen 2012, wir sind der Meinung das war –
spitze»
Nach einer kurzen betretenen Stille kommt von den anderen Tischen leise Applaus auf, Teichner klopft auf den Tisch, und mir steht der Mund offen.
Animiert von diesem grausamen Schauspiel nimmt Teichner einen großen Schluck von seinem Weizenbier und fragt:
«Hatte er irgendwie Stress oder Streit mit irgendjemandem? Hat er da was er… rülps …zählt?»
Die beiden Dorfburschenschaftler mit den fettigen Haaren und den schmal gekifften Augen sehen sich einen kurzen Moment verunsichert an, ehe Müllo sich räuspert.
«Ei …»
Ich warte noch immer auf den ersten Satz von einem der beiden, der nicht mit einem «Ei» beginnt.
«WER WAR DIE POMMES?»
«Ei, er war schon ganz schön angepisst …»
«Ja?»
«Ei, ich mein, so geht man mit einem AA auch net um.»
«Ich nix verstehn», sagt Teichner.
Sebi blickt wieder zu Boden, murmelt: «Ei, da frage Sie doch am beste seine Tochter», und zeigt mit dem Finger auf mich.
Ich bestelle noch eine weitere Cola und gebe zu verstehen, ich wüsste, dass Melina mit ihm Schluss gemacht habe.
Da lacht Müllo kurz auf. «Sagt sie , sagt sie .»
«Ja, sagt sie», bestätige ich.
«Abhake, mit einem AA macht man nicht Schluss. Das macht er schon selber, keine Sorge.»
«COLA», brüllt die Dame nun vom Tresen. «Ja», antworte ich, «ich war die Cola.»
Ist doch auch mal was anderes, denke ich. Eine Cola gewesen zu sein, das kann nicht jeder von sich behaupten.
Als ich eine halbe Stunde später auf unsere Haustür zuschreite, traue ich meinen Ohren nicht. Ich höre das Klavier. Den Flügel. Franziskas Flügel. Wie viele Jahre ist das her? Ich weiß es nicht. Zu lange jedenfalls. Wer spielt da, frage ich mich. Ein Schüler? Ich kenne das Stück. Chopin, Nocturne Nr. 10, glaube ich. Franziska hat es früher oft gespielt, und ich mochte es sehr. Ich beschließe, nicht den Schlüssel in die Tür zu stecken, sondern schleiche mich wie ein Einbrecher ums Haus, um durch die Terrassentür im Wohnzimmer zu erspähen, wer da mit unserem Flügel endlich wieder vernünftige Klänge produziert. Da es draußen dunkel ist, ist die Gefahr, gesehen zu werden, recht gering.
Und dann sehe ich sie da sitzen. Franziska, mit der gleichen Inbrunst wie früher, mit geschlossenen Augen lässt sie ihre Finger über die Tasten rasen, als hätte sie nie aufgehört.
Ich hocke mich im Schneidersitz auf die feuchte Wiese und höre zu. Sehe zu.
In diesem Moment ist es mir so klar wie nie zuvor. Da sitzt meine Frau.
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