Der Tod meiner Schwester
Seite geneigt.
“Was?”, fragte ich.
“Du siehst wirklich umwerfend aus”, schmeichelte er.
Ich spürte, wie ich errötete. “Danke”, erwiderte ich.
“Das meine ich wirklich.” Dann lehnte er sich seufzend zurück. “Nun, ich schätze, wir sollten wohl lieber darüber sprechen, weshalb wir hierhergekommen sind.” Er öffnete die Aktentasche und holte einen Umschlag hervor. “Abby sagte mir, sie hätte dir eine Kopie des Briefes gezeigt.”
Ich musterte den Umschlag. Anders als der getippte Brief war die Adresse des Police Department auf dem Umschlag mit der Hand geschrieben, in präzisen, leicht schrägen Buchstaben.
“Warum hast du ihn nicht zur Polizei gebracht?”, wollte ich wissen und sah ihn an. Seine Augen waren von einem klaren, tiefen Blau. Hinter den dicken Brillengläsern, die er damals trug, hatte ich die Farbe niemals wahrgenommen. “Ich meine, es ist doch offensichtlich, das Ned wollte, dass sie ihn bekommen.”
“Nein, offenbar hat er es sich anders überlegt”, korrigierte Ethan mich. Sein Ton mochte freundlich sein, doch seine Worte hatten ihre eigene Kraft. Auch wenn ich nicht seiner Meinung war, gefiel es mir doch, wie er für sich eintrat. Glen hatte es anderen Menschen immer leicht gemacht, über ihn hinwegzugehen. “Laut Datum schrieb er den Brief ein paar Monate, bevor er starb”, fügte Ethan hinzu.
“Doch er hat ihn nicht weggeworfen”, wendete ich ein.
Ethan seufzte. “Julie, wenn ich ihn zur Polizei bringe, werden sie daraus schließen, dass Ned es getan hat. Sie werden anfangen, Fragen zu stellen. Es ist mir egal, was sie mich fragen, doch mein Vater ist sehr alt. Ich möchte nicht, dass er in seinen letzten Jahren glaubt, dass sein Sohn jemanden ermordet hat. Ich habe einen Freund bei der Polizei, dem ich diese Sache – rein hypothetisch – vorgetragen habe. Er sagte, sie würden den Fall neu aufrollen. Damals spielte die Gerichtsmedizin noch keine so große Rolle, weshalb man sich die Beweise nun aus einer anderen Perspektive ansehen würde. Doch sie würden mit Sicherheit mit meinem Vater sprechen wollen. Ich möchte nicht, dass er da durch muss.”
Ich bemerkte die aufrichtige Sorge in seinem Gesicht und war berührt von seiner Begründung. Ich hoffte, dass ich meine Mutter davor bewahren konnte, überhaupt von dem Brief zu erfahren, geschweige denn von den Folgen. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob das möglich war. Ich wusste von den Recherchen für meine Bücher, dass Ethans Freund bei der Polizei recht hatte. Egal wie lange der Fall zurücklag, die Polizei würde ihn neu aufrollen. Noch einmal ganz von vorne anfangen. Ich betete nur, dass sie meine Mutter heraushalten konnten. Ross Chapman jedoch würde mit Sicherheit befragt werden, denn er war derjenige, der Neds Alibi bestätigt hatte.
“Lebt deine Mutter auch noch?”, fragte ich.
Bevor er antworten konnte, erschien die Kellnerin mit unserem Essen, und wir tauschten ein paar Sätze mit ihr wegen ihrer extremen Gesichtsfarbe. Sie sei am Strand eingeschlafen, erzählte sie und presste ihre Hände gegen die hochroten Wangen, nachdem sie unsere Teller abgestellt hatte.
“Ich leide
Höllenqualen”
, erklärte sie mit einem Hang zur Dramatik.
Ethan griff in seine Aktentasche und holte eine Tube hervor. “Hier”, sagte er und reichte sie ihr. “Reiben Sie das auf die Verbrennungen. Der Schmerz geht sofort weg.”
Sie wirkte überrascht. “Vielen Dank”, stammelte sie.
“Sie können es behalten”, fügte Ethan hinzu.
“Das ist sehr nett von Ihnen”, sagte sie und schob die Tube in ihre Schürzentasche. “Machen Sie sich keine Gedanken wegen des Trinkgelds.”
Als sie den Tisch verlassen hatte, wandte ich mich ihm wieder zu. “Trägst du immer Creme gegen Sonnenbrand mit dir herum?” Mir gefiel, dass er so locker mit der Kellnerin gesprochen hatte. Glen hätte einfach durch sie hindurchgesehen. Warum verglich ich Ethan nur immer mit Glen?
Ethan zuckte die Achseln. “Ich bin gerne draußen”, sagte er, “aber zwei Minuten in der Sonne, und ich habe einen Sonnenbrand. Ich muss mich da langsam rantasten.”
Ich lächelte. Ich konnte noch immer den empfindlichen Jungen in ihm sehen, der sich hinter der männlichen Fassade verbarg. Ich beobachtete das Muskelspiel in seinen Armen, als er den Hamburger zum Mund führte. Das Hautdreieck unter dem geöffneten Hemdkragen hatte die gleiche rötliche Bräune wie der Rest von ihm, und für einen Moment verlor ich mich in der flachen
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