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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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Grandpop öffnete die Falle und beförderte den Fang in seinen Eimer. Währenddessen erspähte ich etwas im Wasser, nur ein, zwei Meter von uns entfernt. Ein Babyschuh! Ich rollte die Hosenbeine meiner Capris so hoch wie möglich, watete bis zu den Knien ins Wasser und griff nach dem kleinen weißen Lederschuh – ein wahrer Schatz in meiner Beweissammlung.
    “Was machst du mit all den Dingen, die du da findest?”, fragte Grandpop, während er wieder die Falle präparierte.
    “Ich sammele sie unter meinem Bett”, sagte ich. “Sie könnten Beweisstücke sein, falls etwas Mysteriöses passiert ist. Was zum Beispiel, wenn ein Baby entführt wurde oder so etwas? Ich könnte diesen Schuh zur Polizei bringen und ihnen sagen, wo ich ihn gefunden habe, und vielleicht können sie den Fall dann lösen.”
    “Ich glaube, du brauchst einen besseren Ort als unter dem Bett”, meinte Großvater. “Deine Mutter könnte dort sauber machen und all den alten Kram wegwerfen, den du gefunden hast.”
    Dafür liebte ich meinen Großvater sehr. Er nahm mich immer ernst.
    “Wo könnte ich ihn sonst hintun?” Ich musterte den winzigen Schuh in meinen Händen.
    “Ich habe eine Idee”, sagte er. Er legte mir die Hand in den Nacken, während wir zurückgingen, und ich spürte seine etwas rauen und feuchten Finger auf meiner Haut. “Wenn wir zu Hause sind, sammelst du deine Beweise zusammen, und ich zeige dir, wo du sie aufbewahren kannst.”
    Kaum angekommen, tat ich, wie er es mir gesagt hatte. Ich besaß bislang erst drei schäbige Beweise: den Babyschuh, die Sonnenbrille und den idiotischen Pingbong-Ball, doch für gerade mal zwei Tage Schnüffelei schien das ganz gut. Ich brachte die Sachen hinaus in den Garten. An der Häuserecke, die dem Wald am nächsten war, grub Grandpop ein Loch. Neben ihm stand einen alte Brotbüchse aus Blech mit einem abnehmbaren roten Deckel.
    Er grinste mich an, wobei sich sein liebes Bassett-Gesicht für einen Moment aufhellte. “Was meinst du, Nancy Drew?”, fragte er. “Wir vergraben diese Brotbüchse in diesem Loch, bedecken sie mit ein bisschen Sand, und niemand wird jemals wissen, dass sich hier deine Beweisstücke befinden.”
    Ich half ihm, die Brotbüchse in das Loch zu legen, packte meine Beweise hinein, machte den Deckel zu und bedeckte die Büchse mit Sand. Ich liebte mein neues Versteck. Niemand würde je erfahren, dass ich hier meine Fundstücke aufbewahrte.
    Zumindest dachte ich das.

5. KAPITEL
    J ulie
    Die sonnenverbrannte Kellnerin schenkte mir Eistee nach, und ich interpretierte den Blick, den sie mir zuwarf, als mitleidig.
Das ist der Grund, warum ich keine Dates habe
, dachte ich. Das Warten, die Unsicherheit, das Analysieren. Warum verspätete sich Ethan? Steckte er im Verkehr fest? Hatte er vergessen, wo wir uns zum Lunch treffen wollten? Oder war er einfach nur sauer, weil ich ihn zu dem Treffen überredet hatte? Ich wollte der Kellnerin erklären, dass ich hier zwar einen Mann traf, er aber kein Date war. Es gab keinen romantischen Hintergrund. Doch dann wurde mir klar, dass mich die Kellnerin vermutlich sowieso für zu alt hielt für ein Date. Sie war Mitte zwanzig; höchstwahrscheinlich erinnerte ich sie an ihre Mutter.
    Das Spring Lake Restaurant war etwa fünfzehn Kilometer von Bay Head Shores entfernt. Seit ich zwölf war, war ich unserer früheren Sommerfrische nicht mehr so nahe gekommen. Als ich aus dem Wagen ausstieg, hatte ich das Salz vom Meer schmecken können, das sich nur einige Blocks weiter erstreckte. Überraschenderweise rief der Geruch nicht nur das von mir erwartete Unbehagen hervor, sondern auch eine tiefe Sehnsucht, als könnte sich ein winziger Teil von mir noch an die guten Zeiten da unten an der Küste erinnern, obwohl meiner Familie dort so viel genommen wurde.
    Wieder kam die Kellnerin an meinen Tisch. “Kann ich Ihnen etwas Brot oder etwas zum Knabbern bringen, während Sie warten?”, fragte sie.
    “Nein, danke.” Ich lächelte sie an. “Alles bestens.”
    Es war warm in dem Restaurant, oder zumindest war
mir
warm. Ich hatte eine schwarze Dreiviertelhose an und ein ärmelloses rotes Top, doch ich bemerkte, wie andere Frauen im Restaurant sich ihre Jacken überzogen. Seit bei mir vor einem Jahr die Menopause eingesetzt hatte, trug ich gar keine Jacken mehr.
    Ich hatte einen Tisch am Eingang gewählt, damit ich Ethan sehen würde, wenn er hereinkam. Ich war nicht sicher, ob ich ihn wiedererkennen würde. Durch das Fenster musterte ich die

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