Der Tod meiner Schwester
das nach meinem schwachen Kommentar zu den Atheisten so sah.
“Wie geht es dir denn, Julie, Liebes?”, lenkte Mrs. Chapman das Thema in eine unverfänglichere Richtung. “Wir hatten in diesem Sommer bislang noch kaum Gelegenheit, deine Familie zu sehen. Wo ist deine Mutter?”
Ich drehte mich in Richtung Bucht und deutete auf die Stelle, an der ich meine Mutter zuletzt gesehen hatte. Doch sie kam gerade aus dem Wasser und streifte ihre Badekappe ab, sodass ihr das dunkle Haar wieder in Wellen um das Gesicht fiel. Wie die meisten Frauen ihres Alters trug sie einen schwarzen Badeanzug mit einem kleinen Rockteil, doch es war offensichtlich, dass sie ihre langen schlanken Oberschenkel absolut nicht verstecken musste. Ich verspürte einen Anflug von Stolz. Sie war so hübsch.
“Hallo, Joan”, sagte meine Mutter, als sie ein Handtuch von der Decke nahm und sich das Gesicht abtrocknete. “Und Ross.”
“Maria.” Mr. Chapman nickte meiner Mutter zu.
“Wie ist das Wasser?”, erkundigte sich Mrs. Chapman.
“Kühl”, erwiderte meine Mutter. “Aber sehr erfrischend.” Sie wandte sich Lucy und mir zu. “Lasst uns Mittag essen, Mädchen, in Ordnung?” Sie setzte sich mit dem Rücken zu den Chapmans auf die Decke, sodass sie mir den Blick verbaute und dem “gesunden” Streitgespräch ein Ende setzte.
Wir aßen unsere Sandwiches, als ich zur Strandwache hinübersah und bemerkte, dass die Decken, auf denen Isabel und ihre Freunde gesessen hatten, leer waren. Auf der Plattform saß ein Junge, den ich nicht kannte und der die schwarze Trillerpfeife von einer Hand in die andere warf. Ich wusste, wo sie alle waren. Ich sah hinaus zu der Plattform im Wasser, ein schweres Holzfloß, das in dem tiefen Wasser verankert worden war und durch leere Ölfässer an der Oberfläche gehalten wurde. Die Teenager hatten sich auf die Plattform gezwängt, die viel zu klein für alle war. Ich hörte sie von meinem Platz aus lachen. Ich vernahm auch Musik und fragte mich, wie sie ein Radio dort draußen hingeschafft hatten, ohne dass es nass wurde. Meine Schwester und ein anderes Mädchen standen auf und tanzten zur Musik. Bruno Walker balancierte an der Kante der Plattform, und ich sah, wie er einen perfekten Kopfsprung ins Wasser vollführte. Dann schwamm er zurück zur Plattform und stemmte sich mit seinen muskulösen Armen hoch, statt die Leiter zu benutzen. Er setzte sich neben eines der Mädchen, das ich nicht kannte.
Ich kaute langsam an meinem Sandwich, während ich sie beobachtete. Ich war noch nie auf der Plattform gewesen, obwohl ich es zu gerne wollte. Ich konnte gut schwimmen und war sicher, dass ich mich ebenso wie Bruno auf die Plattform hieven konnte, doch ich fühlte mich eingeschüchtert von den Teenagern, die dort immer rumhingen – Isabel eingeschlossen. Es war offenbar ihr Territorium. Eine Zwölfjährige wäre nicht willkommen. Während ich sie beobachtete, konnte ich nicht ahnen, dass meine Schwester, die so vital und lebensfroh wirkte, noch vor Ende dieses Sommers tot sein würde. Und ich konnte nicht ahnen, wie diese Plattform mich später in meinen Träumen verfolgen würde.
8. KAPITEL
M aria
Ich jätete meinen Garten jeden Tag. Obwohl es erst Ende Juni war, konnte ich bereits sehen, wie das Unkraut durch den Mulch kam, den Julie und Lucy für mich ausgestreut hatten. Die meisten Menschen hassen Jäten, doch ich nicht. Ich war gerne in der Sonne – zweifellos das italienische Blut in meinen Adern. Vielleicht hatte ich deshalb mehr Falten, als wenn ich nicht so viel Zeit meines Lebens draußen verbrachte hätte, doch das war mir egal. Es war ein Privileg, alt zu werden, und nicht jeder kam dazu, es zu genießen. Ich war dankbar für jede Minute, die mir gegeben war.
Ich hielt die Blumenbeete gerne sauber, entfernte das Unkraut zwischen den roten Begonien und den rosafarbenen Pfingstrosen und verwandelte das Chaos in Ordnung. In der Beziehung kam Julie ganz nach mir. Lucy war insgesamt ein anderer Typus. Sie war schluderig und kompliziert. Ich versuchte nicht daran zu denken, wo in diesem Spektrum zwischen Ordnungssinn und Schlampigkeit Isabel gelandet wäre. Über solche Dinge nachzudenken kann einen verrückt machen.
An jenem Morgen Ende Juni saß ich auf dem kleinen Sitzroller, den Julie mir gekauft hatte, und arbeitete an dem Blumenbeet nahe der Vordertreppe, als ein Wagen in meine Einfahrt fuhr. Es war ein großes Auto mit einer langen Motorhaube – die Art von Wagen, die ein alter Mann fahren
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