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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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mich an.
    “Komm zurück zur Decke”, forderte ich sie auf.
    Das tat sie. Sie trottete zurück zur Decke, streifte den Schwimmring ab, zog den Badeanzug aus und setzte sich neben mich, um zu lesen.
    “Leg dich hin, und ich reibe dich mit Sonnencreme ein”, sagte ich.
    Mom hatte sie bereits eingerieben, aber ich wollte einfach nett zu ihr sein. Sie legte sich auf den Bauch, und ich verteilte die nach Kokosnuss duftende Lotion auf ihrem Rücken. Ich spürte ihre spitzen Schulterblätter unter meinen Händen. Sie wirkte so zerbrechlich. Ich wollte mich über sie beugen und sie umarmen. Ich hätte ihr gern von meinem Mut abgegeben. Ich hatte mehr, als ich brauchte.
    Ich schraubte gerade die Cremetube wieder zu, als ich bemerkte, dass Mr. und Mrs. Chapman jetzt direkt hinter uns waren. Sie saßen auf gestreiften Strandstühlen, und Mrs. Chapman hatte den Kopf nach hinten geworfen und reckte mit geschlossenen Augen ihr Gesicht der Sonne entgegen. Sie hatte hübsches blondes Haar, das sie wie zu einer Kappe geschnitten trug. Mr. Chapman las ein Buch, doch er musste meinen Blick gespürt haben, denn er nahm die Sonnenbrille ab und erwiderte meinen Blick. Er schien nicht glücklich, mich zu sehen.
    “Oh”, sagte er. “Hallo, Lucy.”
    “Ich bin Julie”, klärte ich ihn auf.
    “Julie, natürlich.”
    Ich sah zu der Stelle, wo Ethan gelegen hatte, doch er war nicht mehr da. Dann erblickte ich ihn auf dem Pier, wo er eine Schnur ins Wasser hielt. Wahrscheinlich fischte er nach Krabben. Wenn ich ihn noch hätte ausstehen könnte, wäre ich gerne dabei gewesen.
    “Ist Charles … ist dein Vater für die Woche wieder nach Westfield gefahren?”, erkundigte sich Mr. Chapman.
    Ich nickte. “Müssen Sie in der Woche nicht auch wieder nach Hause?”, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. “Nicht seit ich am Obersten Gerichtshof bin”, erwiderte er. “Wir machen eine Sommerpause.”
    Ich war verwirrt. Ich hatte keine Ahnung, dass Mr. Chapman am Obersten Gerichtshof war. “Warum haben Sie das Schulgebet abgeschafft?”, wollte ich wissen und nahm damit den Kampf meines Vaters auf.
    “Was?” Er schien verblüfft und lachte dann. Seine Züge wurden weicher, wenn er lachte, und ich erkannte Ned in ihm wieder. “Das ist der Oberste Gerichtshof der
Vereinigten Staaten”
, erklärte er. “Und ich bin am Obersten Gerichtshof von
New Jersey
.”
    “Oh.” Ich fühlte mich beschämt, als hätte ich das wissen müssen.
    “Aber ich
hätte
das Schulgebet abgeschafft”, fügte er hinzu, “wenn ich in der Lage dazu gewesen wäre.”
    Ich verstand plötzlich, warum mein Vater Mr. Chapman nicht zu mögen schien. Ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals miteinander sprechen gesehen zu haben.
    “Fang nicht damit an, Ross.” Mrs. Chapman bewegte sich nicht, doch sie lächelte, als sie ihren Mann zurechtwies.
    “Ich finde, es sollte jeden Morgen in der Schule ein Gebet geben”, sagte ich, wobei ich mir sehr erwachsen vorkam und dankbar war für das Vorbild meines Vaters.
    Mr. Chapman beugte sich vor. Seine Augen hatten die Farbe der Zinn-Kaffeekanne meiner Mutter. “Es ist schön, dass du einen Standpunkt beziehst, Julie”, sagte er. “Es ist wichtig, sich für etwas zu engagieren, egal auf welcher Seite man steht. Doch zufällig bin ich nicht deiner Meinung. In diesem Land haben wir nicht nur Christen. Es gibt Juden und Muslime und Atheisten. Findest du wirklich, dass diese Kinder jeden Morgen in der Schule ein christliches Gebet sprechen sollten?”
    Ich kannte nur ein jüdisches Mädchen und ganz sicher keinen Muslim. Ich wusste nicht genau, was ich erwidern sollte. Er hatte ein Argument, das ich nicht widerlegen konnte, doch ich klammerte mich so an den Standpunkt meines Vaters, dass ich keinen Rückzieher machen konnte. “Atheisten sind dumm”, behauptete ich und errötete sofort, weil ich wusste, wie lächerlich dieser Satz war.
    Er lachte. “Und sie könnten dasselbe über euren Glauben sagen.”
    “Sind Sie ein Atheist?”, hakte ich nach und überlegte, ob das der Grund war, weshalb er das Schulgebet abschaffen wollte.
    “Nein, ich bin Katholik. So wie ihr. Doch selbst Katholiken sind sich in wichtigen Punkten nicht immer einig.”
    Seine Frau neigte plötzlich den Kopf. Sie beschattete ihre Augen mit der Hand, um mich anzusehen, und lächelte dann. Zu ihrem Mann sagte sie: “Hör auf, sie zu piesacken.”
    “Wir führen nur ein gesundes Streitgespräch”, erklärte Mr. Chapman, und ich war froh, dass er

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