Der Tod meiner Schwester
nettes Mädchen.”
“Gerne.” Ich wollte noch nicht gehen. “Warum schickt ihr dieses Ding immer hin und her?” Ich deutete auf die Giraffe.
“Ich glaube nicht, dass du das verstehst.” Er blickte hinaus aufs Wasser, stand auf und stieß einen gellenden Pfiff aus. Zugleich winkte er mit dem Arm, was bedeutete, dass ein paar Kinder zu weit hinausgeschwommen waren und er sie näher bei sich haben wollte, wo er sie sehen konnte. Wo er sie beschützen konnte. Seine braun gebrannten Beine waren lang und muskulös und mit goldenen Härchen bedeckt, die ich zu gerne berührt hätte.
“Doch, das würde ich verstehen. Ehrlich”, behauptete ich, als er sich wieder hingesetzt hatte. Ich fragte mich, ob er noch wusste, worüber wir gesprochen hatten. Er wusste es. Er hatte gut aufgepasst.
“Hast du irgendwas, was dir richtig viel bedeutet?”, fragte er, während er noch immer aufs Wasser blickte.
Ich hatte so viele Dinge, die mir viel bedeuteten, dass ich gar nicht wusste, womit ich anfangen sollte. Die Brotbüchse mit den Beweisen natürlich. Und meine Sammlung von Nancy-Drew-Büchern. Ich hatte auch eine Spieldose, die mir meine Freundin Iris zum neunten Geburtstag geschenkt hatte. Sie war oval, und wenn man sie öffnete, fuhr ein Mädchen auf einem Fahrrad im Kreis.
“Eine Spieldose”, sagte ich.
“Oh, okay!” Meine Antwort schien ihn zufriedenzustellen. “Wenn du älter bist und du begegnest jemandem, der dir viel bedeutet, dann hast du das Bedürfnis, deine Spieldose mit dieser Person zu teilen.”
“Oh”, machte ich. Ich bezweifelte sehr, dass ich meine Spieldose zwischen mir und einem Jungen hin- und herschicken würde, doch ich tat so, als ob ich alles verstünde. “Dann ist also Isabel die Person, die … die dir viel bedeutet?”
“Das bleibt unter uns, okay?”, bat er, und ich glaubte, ihn hinter der Sonnenbrille zwinkern zu sehen. “Eure alte Lady würde sonst im Dreieck springen, wenn sie davon Wind bekäme.”
Ich begriff, dass er mit “alte Lady” meine Mutter meinte, doch ich hörte den Ausdruck zum ersten Mal.
“Ich habe gesehen, wie Isabel an dem einen Tag in dein Boot gestiegen ist”, vertraute ich ihm an. Die Worte schienen sich selbstständig gemacht zu haben, ich hatte nicht einmal daran gedacht, sie auszusprechen.
Sein Lächeln erstarb. Er nahm die Sonnenbrille ab, und seine blauen Augen schienen sich bis in mein Herz zu bohren. “Du wirst doch nichts sagen, nicht wahr?”
Ich schüttelte den Kopf.
Du kannst mir dein Leben anvertrauen
, hätte ich am liebsten gesagt, wollte es aber nicht zu melodramatisch machen. “Ich werde nichts sagen”, versprach ich und bekreuzigte mich. Ich sah mich auf dem Beichtstuhl, mit dem Weihrauchduft in der Luft. War es eine Lüge, wenn ich meinen Eltern so etwas vorenthielt?, fragte ich mich.
Ned setzte seine Sonnenbrille auf und blickte wieder hinaus aufs Wasser, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. “Wie kommt es, dass du und Ethan nicht mehr miteinander rumhängt?”, wollte er wissen und lächelte mich dann an. “Erspar dir die Antwort”, kam er mir zuvor. “Er ist diesen Sommer einfach ein Idiot, ich weiß.”
Ich wollte Ethan verteidigen, konnte es aber nicht. Ich nickte nur. “Ja”, bestätigte ich.
“Sag Izzy, dass ich sie später sehe, okay?” Er sah hinüber zum Wagen und winkte.
“Okay”, sagte ich und wusste, dass ich entlassen war. Trotzdem war es eine unbeschreibliche Unterhaltung gewesen. Wir teilten Geheimnisse. Wir hatten fast wie Erwachsene miteinander gesprochen.
In ging zurück zum Wagen und stieg ein. Es roch nach dem heißen Gummi der Reifen.
“Worüber hast du mit ihm so lange gesprochen?” Isabel klang argwöhnisch, als sie den Motor startete.
“Darüber, dass ich dich am Yachthafen in Neds Boot steigen sah.” Ich blickte so unbeteiligt wie möglich aus dem Fenster hinaus zur Strandwache.
Isabel schwieg, und als ich wieder zu ihr hinübersah, fiel mir auf, dass ihre Handknöchel ganz weiß geworden waren. “Und was hat er gesagt?”, fragte sie gepresst.
“Er bat mich, es niemandem zu erzählen, und das versprach ich ihm.”
Ihr Griff um das Lenkrad lockerte sich. “Danke”, sagte sie. Dann hielt sie mir die Packung Marlboros hin. “Nimm dir doch noch eine Zigarette.”
Meine Mutter, Isabel und ich warfen die Reifen in den Kanal und sprangen dann rasch hinterher. Lachend bemühten wir uns, auf sie raufzuklettern.
“Ich bin froh, dass keiner ein Foto davon
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