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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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einem Eissandwich abbiss.
    Ich setzte mich mit Blick zur Promenade auf eine der Bänke, betrachtete die Menschen und dachte an Isabel. Wie hätte sie zu Lucy und mir gepasst? Hätte sie uns beim Unkrautjäten in Moms Garten geholfen? Wäre unser Vater noch am Leben, wenn seine heiß geliebte älteste Tochter nicht so jung gestorben wäre? Warum quälte ich mich mit Fragen, die niemand beantworten konnte?
    “Lieber Gott”, betete ich halblaut, “hilf mir, dies alles durchzustehen.”
    Ich stand auf und ging entschlossen zum Wagen zurück. Es war noch immer früh, sodass ich eine Weile in Point Pleasant herumfuhr. Ich erblickte St. Peter’s, wo ich im Sommer jeden Sonntagmorgen zur Kirche und jeden Samstagabend zur Beichte gegangen war. Ich erinnerte mich an eines der letzten Male – vielleicht sogar das allerletzte Mal –, das ich dort beichten ging. Aus irgendeinem Grund war Mom nicht mit uns im Wagen gewesen. Daddy und Isabel saßen auf dem Weg zur Kirche vorne, Lucy und ich hinten, und wir sprachen über meine bevorstehende Kommunion. Isabel hatte ihre Schuhe ausgezogen und die bloßen Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt, sodass ihr Rock nur knapp ihre Knie bedeckte.
    “Also, Julie”, sagte sie, während sie ihre kurzen Fingernägel musterte. Sie war eine Nägelkauerin und hatte schon alle möglichen Mittel ausprobiert, um damit aufzuhören, doch nichts wirkte. “Hast du dich schon für einen Zweitnamen entschieden, den du bei der Kommunion annimmst?” Isabel selbst hatte sich für den Kommunionsnamen Bernadette entschieden. Ein langer und anspruchsvoller Name, doch ich war keine anspruchsvolle Person und hatte mir schon vor einem Jahr einen Kommunionsnamen überlegt.
    “Nancy”, erwiderte ich.
    “Es muss der Name einer Heiligen sein”, bemerkte Isabel etwas von oben herab. “Ich glaube nicht, dass es eine Saint Nancy gibt.”
    “Nun”, schaltete sich Daddy ein, und ich erkannte schon an seinem Ton, dass er zur Abwechslung meine Partei ergreifen würde. “Soweit ich weiß, geht Nancy auf den Namen Ann zurück, und eine Saint Ann gibt es selbstverständlich. Sie war Marias Mutter.”
    Bingo
, dachte ich. Ich hatte nicht nur den Namen einer Heiligen gewählt, sondern auch noch den einer besonders wichtigen.
    “Dann muss sie aber Ann nehmen, oder?”, fragte Isabel meinen Vater hoffnungsvoll. Sie wollte einfach nicht, dass ich in dieser Sache recht behielt. “Das würde ziemlich blöd klingen”, fügte sie hinzu. “Julianne Ann Bauer.”
    “Ich werde Kathy nehmen”, sagte Lucy. Sie identifizierte sich stark mit dem Nesthäkchen aus der Familienserie
Father Knows Best
.
    “Ihr zwei versteht den Sinn der Sache nicht”, beklagte sich Isabel. “Das Ganze ist etwas Ernstes.”
    “Isabel hat recht”, stimmte Daddy zu. “Aber wir können mit dem Pater darüber sprechen, ob Julie den Namen Ann nehmen muss oder Nancy wählen darf. Und Lucy, mit Sicherheit gibt es eine Saint Katherine. Wichtig für euch beide ist, dass ihr etwas über das Leben der Heiligen lernt, bevor ihr ihren Namen annehmt, so wie Isabel es getan hat.”
    Wenn er nur die Wahrheit wüsste über seine süße Saint Isabel, die mit Ned wahrscheinlich bis zum Äußersten ging
, dachte ich.
    Daddy parkte auf der Straße gegenüber von St. Peter’s, und ich bekam plötzlich Bammel. Die ganze Woche hatte ich Angst gehabt zu sterben, weil ich am letzten Samstag nicht alle meine Sünden gebeichtet hatte und deshalb nach meinem Tod auf direktem Weg in die Hölle kommen würde. Ich hatte einfach nicht gewusst, wie ich dem Pater von meinen Fantasien mit Ned Chapman erzählen sollte. Jetzt aber glaubte ich den Dreh rauszuhaben. Irgendwie war ich auf den Ausdruck “unreine Gedanken” gestoßen. Ich musste ihn irgendwo gelesen haben, vielleicht in der katholischen Zeitschrift, für die Daddy schrieb. Ich erinnerte mich auch daran, gelesen zu haben, dass unreine Gedanken eine Sünde waren, selbst wenn man sie nicht in die Tat umsetzte. Da erkannte ich, dass ich sie so schnell wie möglich beichten sollte. Dennoch hatte ich Angst. Normalerweise beichtete ich meine Lügen, meine Streitereien mit Lucy und Isabel und meinen Ungehorsam. Doch diese neue Sünde fühlte sich völlig anders an.
    Ich saß in der Kirchenbank zwischen Daddy und Isabel und wartete darauf, dass ich an die Reihe kam. Ich sah, wie Lucy mit ihren kleinen Verfehlungen einer Achtjährigen auf der einen Seite den Beichtstuhl betrat. Auf der anderen Seite kam eine Frau

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