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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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heraus, und Isabel ging hinein. Danach kam Lucy heraus, und ich war an der Reihe.
    Ich spürte mein Herz bis zum Hals klopfen, als ich mich in der Dunkelheit hinkniete. Ich vernahm das Murmeln einer männlichen Stimme und wusste, dass meine Schwester ihre vermutlich unvollständige Beichte abgelegt hatte und nun ihre Buße erhielt. Noch bevor ich damit gerechnet hatte, schob der Pater das Fenster auf.
    “Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt”, flüsterte ich und bekreuzigte mich. “Meine letzte Beichte liegt eine Woche zurück, und hier sind meine Sünden. Dreimal habe ich meinen Eltern nicht gehorcht (die Ausflüge auf die andere Kanalseite, um mit Wanda und George zu angeln), einmal habe ich meine kleine Schwester angelogen (als ich ihr sagte, im Dock der Chapmans gäbe es keine Krebse), außerdem hatte ich unreine Gedanken und habe mich zweimal mit meiner älteren Schwester gestritten.” Das war’s. Ich hatte es perfekt mit eingebaut.
    “Erzähl mir von den unreinen Gedanken”, forderte der Pater mich auf.
    Oh Gott. “Ich … ich dachte an den Jungen, der nebenan wohnt”, stammelte ich.
    “Häufig?”, fragte der Pater.
    Ich schluckte. “Ja, Vater”, gab ich zu. Jeden wachen Augenblick.
    “Und hast du dich des schweren Vergehens der Masturbation schuldig gemacht?”, hakte er nach.
    Wovon redete er? Ich hatte das Wort niemals zuvor gehört, doch ich vermutete, dass er Geschlechtsverkehr meinte. Ich konnte mir nicht vorstellen, worauf er sonst anspielen sollte.
    “Aber nein, Vater!”, entgegnete ich so laut, dass meine Familie in der Kirchenbank es vermutlich hören konnte.
    “Gut”, sagte der Pater. “Tu das niemals!”
    Niemals?
Ich wollte ihn fragen, ob ich es tun durfte, wenn ich verheiratet war, doch er klang so ernst und grimmig, dass ich es nicht wagte.
    “Ja, Vater”, versprach ich.
    “Als Buße sprich sechs Ave-Maria und fünf Vaterunser, und nun zeige Reue.”
    Die einstudierten Worte sprudelten nur so aus meinem Mund. Die ganze Zeit dachte ich, dass ich leicht davongekommen war. Für ein paar Ave-Maria extra würde ich auch weiter unreine Gedanken an Ned haben. Ich war nicht sicher, ob ich überhaupt damit aufhören konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte.

18. KAPITEL
    J ulie
    Ich lag in dem Doppelbett in Ethans Gästezimmer. Der Raum war dunkel, doch ich erinnerte mich an meine Eindrücke, als ich es am Nachmittag zum ersten Mal betreten hatte, um meine Reisetasche auf dem hübschen Holzstuhl in der Ecke abzustellen. Die Wände waren in einem wunderschönen satten Hellblau gehalten. Die Vorhänge, die am geöffneten Fenster flatterten, waren blau-weiß gestreift. Das Gemälde an der Wand hätte meine Mutter gemalt haben können: die impressionistische Wiedergabe eines Gewässers oder eines grünen Feldes, je nachdem, wie man es betrachtete. Ich fragte mich, ob der einfache und doch wirkungsvolle Wandschmuck von Ethan oder seiner Exfrau stammte. Außer Zweifel stand für mich jedoch, wer für das wunderbar geschnitzte Kopfteil des Bettes oder für die Kommode verantwortlich war. Als ich das Gästezimmer betrat, wusste ich schon, dass Ethan kein gewöhnlicher Tischler war.
    Seit 1962 hatte sich in Bay Head Shores vieles verändert. Während ich durch die Gegend fuhr, versuchte ich gefasst und emotionslos zu bleiben wie ein Wissenschaftler, der seine Beobachtungen anstellt, und nicht wie eine Frau, die einen Ort besucht, der sie verfolgt. Der kleine Eckladen, in dem meine Schwestern und ich immer Süßigkeiten kauften, hatte sich in einen winzigen Antiquitätenladen verwandelt und lag nun versteckt unter der Auffahrt zu einer Brücke, die die alte Lovelandtown Bridge ersetzte. Es gab viele Häuser, und die Gegend erinnerte eher an einen Ferienort als an die kleine Küstengemeinde, die hier einst siedelte. Die in unterschiedlichen Stilen erbauten Häuser glänzten im hellen Sonnenlicht. Die Gärten waren mit Steinen und Sand verziert und sehr gepflegt. Mit einem Kloß im Hals folgte ich der Straße zu unserem kleinen Strand – dem Baby-Strand.
    Okay
, sagte ich mir, als der Strand in Sichtweite kam.
Sei objektiv. Dort ist der kleine Spielplatz. Könnten diese Schaukeln tatsächlich noch dieselben sein, auf denen uns Daddy Schwung gab?
Ich glaubte nicht.
Dort ist die Strandwache. Und jede Menge Leute. Strandschirme in allen Farben. Das seichte Ufer ist noch immer mit einem Seil für die Kinder abgetrennt. Aber …
Meine Augen suchten das Wasser jenseits der Abgrenzung

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