Der Tod meiner Schwester
ab.
Keine Plattform
. Ich war froh, dass sie fehlte. Ich hatte Angst gehabt, sie zu sehen. Ich hatte schon genug gesehen.
Der Shore Boulevard, meine alte Straße, hatte sich mehr verändert, als ich es mir hätte vorstellen können. Zunächst einmal war er nicht länger unbefestigt. Die Häuser standen dicht an dicht zu beiden Seiten der Straße. Der Wald war verschwunden. Zwei Häuser standen auf dem Grundstück, wo einst die Blaubeerbüsche wucherten. Überraschenderweise verspürte ich keine Traurigkeit, dass alles so zugebaut war. Stattdessen war ich erleichtert, dass es nicht mehr die gleiche Straße zu sein schien.
Ich stieß zufällig auf unseren alten Bungalow. Alles schien so verändert, dass ich das Haus zu meiner Rechten nicht so rasch erwartet hatte. Ich hielt abrupt an und konnte froh sein, dass niemand hinter mir auf der ruhigen Straße fuhr. Das Haus sah hübsch und sehr gepflegt aus. Als ich klein war, war es graublau gewesen, mit schwarzen Fensterläden. Nun war es in einem hellen Sonnengelb gestrichen und mit Weiß abgesetzt. Ein alter Anker lehnte an dem Baum im Vorgarten. Der offenbar selbst gemachte Briefkasten an der Straße war meerblau gestrichen, ein kleines Segelboot thronte darauf. Jemand liebte das Haus, das mein Großvater gebaut hatte, und ich war dieser Person dankbar, wer auch immer es sein mochte.
Zwischen dem Bungalow und dem neueren Haus zu seiner Rechten konnte ich einen Blick auf den Kanal erhaschen. Das Wasser übte eine augenblickliche und tief sitzende Anziehung auf mich aus. Die Strömung war relativ stark und das Wasser von jenem bräunlichen Grün, an das ich mich so gut erinnerte. Ich ließ das Fenster hinunter und die feuchte Luft herein. Das hier ist das Einzige, das sich in dieser kleinen Ecke der Welt nicht verändert hat, dachte ich, während ich das in Richtung Bucht fließende Wasser betrachtete. Das Wasser mit seiner wechselnden Strömung und seinem salzigen Algengeruch. Ich starrte auf den Kanal, bis ich mich ganz benommen fühlte – eine Abwehr gegen alles, was meine fragile Gefasstheit im Hier und Jetzt erschüttern konnte. Ich war überrascht, dass ich die Heimkehr zu überleben schien – jedenfalls bis jetzt.
Ich bog in die Auffahrt der Chapmans ein, parkte hinter einem Pickup-Truck, der vermutlich Ethan gehörte, und stieg aus.
“Du hast es geschafft!” Ethan kam aus dem Haus und lief über den Sand auf mich zu. Er trug Jeans mit einem blauen T-Shirt und war barfuß. Sein Lächeln zeugte von einer Leichtigkeit, die ich nicht fühlte, und seine Umarmung überraschte mich.
“Was für eine Fahrt!” Ich versuchte, sein Lächeln zu erwidern.
“Der Verkehr?”, fragte er.
“Nein. Ich … ich fuhr nur so herum.”
“Ach so.” Er schien zu verstehen. “Hat sich einiges verändert in den letzten vierzig Jahren, nicht wahr?”
Die Fliegengittertür öffnete sich erneut, und ich brauchte eine Sekunde, bis ich die Frau, die aus seinem Haus kam, als seine Tochter Abby erkannte. Sie hielt einen schlafenden Säugling in den Armen, der höchstens sechs Monate alt war.
“Hi, Julie”, begrüßte sie mich und kam auf uns zu. Sie trug eine Baseballkappe über dem kurzen blonden Haar und eine blaue Windeltasche über dem Arm.
“Hallo, Abby”, erwiderte ich und beugte mich vor, um einen Blick auf das Baby zu erhaschen. Der Kopf lag an Abbys Schulter. Ich vermutete, dass es ein Mädchen war. Die Augen waren geschlossen, die langen, geschwungenen Wimpern ruhten auf den pummeligen Wangen. “Und wer ist das?”, fragte ich.
“Meine Enkelin Clare”, antwortete Ethan. Er strich dem kleinen Mädchen sanft über den Rücken.
“Sie ist wunderschön”, sagte ich leise.
“Clare und ich gehen gerade.” Abby lächelte mir zu. “Schön, dass ich Sie noch gesehen habe, Julie, wenn auch nur für zwei Sekunden.”
“Freut mich auch, Abby.”
Ethan legte den Arm um seine Tochter. “Wir sehen uns Sonntag zum Essen.”
“Abgemacht.” Abby stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihren Vater auf die Wange zu küssen. “Ich liebe dich”, sagte sie, bevor sie hinüber zu dem weißen Beetle Cabrio ging, der vor dem Haus stand.
“Ich liebe dich auch”, rief Ethan ihr hinterher. Lächelnd beobachtete er, wie seine Tochter die Enkelin im Wagen verstaute. Dann sah er mich an. “Ich bin schon ein Glückspilz.”
Ich nickte. “Abby ist wirklich eine reizende junge Frau”, sagte ich, doch ich musste an Shannon denken und versuchte mich zu erinnern, wann sie mir
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