Der Tod soll auf euch kommen
versuchte, sich an das lateinische Wort zu erinnern. »Mandragora«, meinte er schließlich, denn er wußte, daß die Pflanze mit der Alraune verwandt war. »Das würde ich verwenden. Ein verdünnter Aufguß bewirkt den Verlust der Stimme und führt zu Lähmungserscheinungen.«
Basil Nestorios lächelte zustimmend.
»Mein Freund, du weißt ja gut Bescheid. Wenn wir keine Alternative hätten, wäre das eine gute Wahl. Doch ich habe unter meinen Heilmitteln den Extrakt einer Pflanze, die in einigen Teilen meines Landes wächst und
papaver
genanntwird. Sie wirkt viel schneller und stärker. Es ist eine weiße Mohnart, und wir verwenden sie in Jundishapur als Narkotikum und auch gegen Schmerzen, und manchmal, um uns zu berauschen. Aber in hohen Dosen kann sie gefährlich sein.«
»Weißer Mohn?« fragte Eadulf nach. Der war ihm unbekannt.
»Wir schneiden in die Samenkapsel ein, die gleich nach der Blüte zu reifen beginnt. Aus diesen Einschnitten tritt ein dickflüssiger Saft aus, den wir abnehmen und trocknen. Daraus gewinnen wir unseren Heiltrank, der den Verstand des Bösen trüben und ihn einschläfern wird. Dazu bin ich bereit, aber mehr als das werde ich ihm nicht antun.«
Eadulf zuckte mit den Achseln. »Nun, das ist besser als gar nichts. Bist du sicher, daß sich nicht mehr als sechs Krieger in der Festung befinden?«
»Ja, das bin ich. Ich habe nur sechs gesehen.«
Eadulf blickte sich um. »Wo befindet sich deine Kiste mit der Medizin?«
»Der Böse bewacht sie. Er vertraut mir nicht. Die Kiste steht in dem Raum, in dem ich ihn behandle.«
Eadulf schaute aus dem Fenster nach dem Himmel und dem Stand der Gezeiten.
»Wir sollten uns bereithalten, Basil Nestorios«, meinte er.
Der Arzt nickte. »Wollen wir hoffen, daß wir nicht von den Göttern geliebt werden«, murmelte er vor sich hin.
Eadulf sah ihn neugierig an.
Der Arzt schenkte ihm ein Lächeln. »In meinem Land gibt es das Sprichwort –
hon hoi theoi philousi npothneskei neos
– jene, die von den Götter geliebt werden, sterben jung.«
Eadulf kroch unter die Pritsche.
»Vielleicht hält man uns für nicht mehr ganz so jung«, erwiderte er, ehe er sich in das Loch zwängte.
Der Arzt wartete ein wenig und schob die Steinplatte darüber. Dann ließ er sich auf der Pritsche nieder.
»Ist alles in Ordnung mit dir, mein Freund?« flüsterte er.
»Meine Arme fangen an zu schmerzen«, antwortete Eadulf.
»Ein Jammer, daß der Tunnel in einem solchen Winkel verläuft. Wäre er waagerecht, brauchte ich die Arme nicht so zu belasten.«
»Hoffen wir, daß der Wächter bald kommt.«
»Sch … Ich glaube …«
Eadulf konnte vernehmen, wie die Riegel zurückgeschoben wurden. Als sich die Tür nach innen öffnete, hörte er Metall aufeinanderstoßen. Eine Stimme rief: »Komm mit!« Basil Nestorios stand auf und ging zur Tür. Kurz darauf wurde die Tür wieder zugeschlagen, und die Riegel wurden vorgelegt.
Eadulf wartete einen Augenblick, ehe er sich aus dem Loch schob. Er stieß die Steinplatte zur Seite, die glücklicherweise nicht sehr schwer war, und kroch unter der Pritsche hervor. Als erstes wollte er probieren, ob die Tür aufging. Wie erwartet, war sie von außen versperrt. Sonst wäre er hinausgeschlüpft und hätte den Krieger davor hinterrücks angefallen.
Doch so konnte er nur abwarten.
KAPITEL 15
Eadulf döste vor sich hin. Er war fast eingeschlafen, da vernahm er auf dem Gang ein Geräusch. Er sprang auf und preßte sich an die Wand hinter der Tür. Er schaute zu der Stelle, wo die Steinplatte lag. Von der Tür aus konnte man siegut sehen. Die Riegel wurden zurückgeschoben. Er wünschte, er hätte irgendeine Waffe, aber er hatte nichts Geeignetes finden können.
Die Tür ging auf. Eine rauhe Stimme sagte: »Rein mit dir. Dein Essen kriegst du später.«
Eadulf wartete darauf, daß der Krieger in die Zelle trat. War er denn blind? Warum sah er die verschobene Steinplatte nicht? Dann hörte er, wie Basil Nestorios auf Griechisch losredete.
»Still!« murrte der Wächter. »Dein heidnisches Geschwätz verstehe ich sowieso nicht, und …«
Er verstummte. Wahrscheinlich zeigte Basil Nestorios nun auf die Platte, um den Krieger in die Zelle locken. Es funktionierte. Eadulf hörte, wie der riesige Krieger in die Zelle kam.
Eadulf sprang ihn von hinten an, packte ihn mit beiden Händen am Hals und würgte ihn. Der Krieger versuchte, Eadulfs Griff zu lösen. Doch Eadulf klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an ihn und ließ
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