Der Tod soll auf euch kommen
persönlichen Gefühle beiseite zu lassen und die Angelegenheit objektiv zu betrachten.
»Ich verstehe ja, daß man sich hier diplomatisch verhalten sollte, aber er muß unbedingt dazu gebracht werden, in absehbarer Zeit zurückzutreten, und dafür trägst du die Verantwortung.«
Colgú nickte unglücklich. »Ich würde ihn lieber dazu überreden, als ihn zwingen.«
»Du bist der König«, versetzte sie mürrisch.
Da klopfte es an die Tür. Finguine trat mit Eadulf ein.
Fidelma eilte auf Eadulf zu und griff nach seinen Händen. »Alles ist gut. Es ist ganz allein Brehon Dathals Schuld.«
Eadulf verzog zynisch den Mund. »Das hätte ich dir vorher sagen können«, erklärte er. »Finguine hat mir schon davon erzählt.«
Colgú trat vor und umarmte ihn.
»Mein Freund, Ehemann meiner Schwester, du mußt uns verzeihen. Brehon Dathal hat in seiner Ungeduld und Eile falsche Schlüsse gezogen. Nie hätte man dich in den Kerker werfen dürfen, und das nach all deinen unglückseligen Erlebnissen. Nun ja, wenigstens ist jetzt die Familie wieder vereint.«
Eadulf war das alles unangenehm. Ihn beschämte die Herzlichkeit, die Fidelmas Bruder ihm entgegenbrachte, und er war sich auch unsicher, was er von Fidelmas liebevollen Bemühungen zu halten hatte.
Da streckte Finguine ihm lächelnd die Hand entgegen und fragte: »Kannst auch du mir vergeben?«
»Nun«, meinte Eadulf, an alle gewandt, wobei allerdingseine kleine Spur Sarkasmus in seiner Stimme mitschwang, »es ist recht schwierig, das innere Gleichgewicht zu bewahren, wenn man erst in einer lebensbedrohlichen Gefahr steckt, dann eingekerkert wird und schließlich wieder in die Familie aufgenommen wird …«
Fidelma drückte fest seinen Arm. »Es gibt so einiges, wofür wir uns bei dir entschuldigen müssen, Eadulf. Wir haben vieles wiedergutzumachen.«
Eadulf zuckte die Achseln. »Das hättest du nicht schöner sagen können«, seufzte er.
Colgú klopfte ihm auf die Schulter. »Dann wollen wir heute abend feiern und …«
Fidelma schüttelte rasch den Kopf. »Eadulf und ich haben noch sehr viel zu erledigen. Der Fall ist noch nicht aufgeklärt, Sáraits Mörder steht noch nicht vor Gericht. Und du, mein Bruder, du mußt dich um Brehon Dathal kümmern. Erst danach können wir ans Feiern denken.«
Einige Zeit später wurde der oberste Brehon von Muman zum König gerufen.
Colgú bat ihn, sich zu setzen. Colgú kannte Brehon Dathal seit seiner Kindheit; er war schon vor dreißig Jahren am Hof seines Vaters Failbe Flann Richter gewesen. Brehon Dathal machte ein ernstes Gesicht. Man hatte ihn bereits von Eadulfs Freilassung und Bruder Conchobars Bericht in Kenntnis gesetzt. Colgú fragte sich, wie er die delikate Angelegenheit am besten ansprechen sollte.
»Dathal, du bist schon viele Jahre oberster Richter in diesem Königreich«, fing er in freundlichem Ton an.
»Meinst du etwa, daß das zu lange ist?« entgegnete Dathal schroff.
»Ein jeder gelangt einmal an den Punkt, wo er nicht mehrso jung und tatkräftig ist. Auch mir wird das eines Tages so ergehen. Ich hoffe, daß ich selbst erkenne, wann es soweit ist, und mich dann in den verdienten Ruhestand zurückziehe.«
»Ruhe ist etwas für Kühe, mein König. Nichts für Menschen.«
Colgú lächelte. »Hat Horaz nicht geschrieben, daß man ein altes Pferd rechtzeitig aus dem Rennen nehmen sollte, sonst strauchelt es und wird zum Objekt des Mitleids und des Spotts der Zuschauer?«
Brehon Dathal reagierte gereizt.
»Ich habe einen Fehler gemacht, das ist alles. Darf einem Richter nicht auch mal ein Versehen unterlaufen? Es ist niemand zu Schaden gekommen, und der Sachse ist frei.«
»Der Sachse ist der Mann meiner Schwester, Brehon Dathal«, erklärte Colgú. »Und du mußt ihm eine Entschädigung zahlen.«
»Ich kenne die Entschädigungsgesetze.«
»Das bezweifle ich auch nicht«, erwiderte Colgú. »Denke daran, Eadulf von Seaxmund’s Ham mag vielleicht ein Fremder sein, aber in seinem Land genoß er ein hohes Ansehen. Er war
gerefa
per Erbfolge
,
ein Richter in seinem Volk.«
»Per Erbfolge!« höhnte Brehon Dathal. »Wie kann man die Fähigkeiten eines Richters ohne Studium erben?«
»Die Sachsen haben eben andere Bräuche«, murmelte der König. »Worauf ich jedoch hinaus will, ist, daß Eadulf Respekt verdient, wenn nicht um seiner selbst willen, dann um meiner und meiner Schwester willen.«
Brehon Dathal schwieg.
»Brehon Dathal, wir kennen uns schon lange. Überdenke deine Position
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