Der Tod soll auf euch kommen
Plötzlich riß er die Augen auf. »Wenn Aona recht hat, dann könnte Gormán sogar Sáraits Mann Callada getötet haben und …«
Fidelma fiel ihm ins Wort. »Ich glaube, wir sind da zu voreilig, wir haben keine Beweise. Spekulationen können faszinierend sein, doch wie ich schon oft gesagt habe, Eadulf, sie führen zu nichts. Warum sollte Gormán den Zwerg umbringen? Wir wissen auch nicht, ob der Zwerg Sárait getötet hat, wir wissen nur, daß eine kleine Person, die Caol für ein Kind hielt, eine Nachricht an Sárait überbrachte und sie deshalb die Burg verließ. Alles andere sind Mutmaßungen.«
»Ich hatte vergessen, daß Caol an jenem Abend das Kind gesehen hat. Vielleicht hat er den Zwerg erkannt und …«, sagte Eadulf niedergeschlagen.
Fidelma schüttelte den Kopf. »Wir wollen nicht weiter spekulieren, wir müssen erst mehr in der Hand haben«, sagte sie.
Schon bald ließ Caol sie zur Behausung des Apothekers rufen. Es war eine Holzhütte voll mit getrockneten Kräutern. An einer Seite flackerte ein Feuer im Herd und verstärkte das würzige Aroma, das in der Luft lag, so sehr, daß Eadulf zu husten anfing und Fidelma nach Luft rang. Durch die kleinen Fenster drang so wenig Tageslicht, daß das Innere der Hütte mit Laternen beleuchtet werden mußte.
Der Apotheker war alt und wirkte verdrossen.
»Nun, der Zwerg ist tot«, empfing er Fidelma und ihre Begleiter unwirsch, als sie eintraten. Er blickte sie mit kurzsichtigenAugen an. »Tot«, wiederholte er. »Was habe ich also damit zu tun?«
Fidelma ging auf den alten Mann zu.
»Das sieht jeder Narr, daß er tot ist. Ich habe dich bitten lassen, nach Anzeichen von irgendwelchen Krankheiten bei ihm zu suchen.«
Der Heilkundige starrte sie mit seinen kurzsichtigen Augen forschend an.
»Natürlich hatte er Gebrechen«, erwiderte er schroff. »Er war schließlich ein kleinwüchsiger Mensch, nicht wahr?«
»Auch das ist offensichtlich«, erwiderte Fidelma mit spitzer Zunge. »Hat er an Lepra gelitten?«
»Hat er … was?« fragte der alte Mann. »Soll ich dir jetzt etwa eine Lektion über die Grundlagen der Medizin halten?«
Inzwischen war Fiachrae gekommen. Er trat zu dem Heilkundigen.
»Das ist die Schwester von König Colgú, eine
dálaigh
bei Gericht. Antworte sachlich auf ihre Fragen, sonst wirst du hier nicht länger deine Kunst ausüben können«, drohte er ihm leise.
Der Heilkundige blinzelte ein wenig und blickte wieder zu Fidelma.
»Der Zwerg hatte keine Lepra«, sagte er nun.
»Soweit du das beurteilen kannst, hat er jemals daran gelitten?«
»Nein, nie. Soviel ich weiß, kann man von dieser Krankheit nicht wieder genesen, auch wenn gewisse Fremde angeblich zu irgendwelchen Wunderheilungen in der Lage sind.«
»Genau das wollte ich von dir bestätigt haben«, sagte Fidelma. »Was wolltest du über die Fremden sagen, die angeblich zu Wunderheilungen fähig sind?«
Der alte Mann rümpfte abschätzig die Nase.
»Ist es einen Tag her? Da kam ein Fremder hier entlang … Sein Begleiter dolmetschte für ihn, denn er selbst war kaum unserer Sprache mächtig. Sein Begleiter erklärte mir, daß er in seiner Heimat ein Heiler sei. Er behauptete, daß er verschiedene Kräuter kenne, die Lepra heilen könnten. Von den Pflanzen, die er mir nannte, war mir allein die Klette bekannt. Allerdings wußte ich bisher nur, daß man mit dem Saft der Klette Verbrennungen und Entzündungen zu heilen vermag.«
»Bei uns werden die jungen Stengel im Salat gegessen«, sagte Eadulf. »Welche Pflanzen hat der Fremde noch erwähnt?«
Der Heilkundige blickte ihn mißbilligend an.
»Er zählte fremde Namen auf. Nicht einmal der heilige Fintan von Teach Munna in Laigin konnte sich selbst heilen, als er sich die Lepra geholt hatte. Ich habe gehört, daß Bischof Petrán einmal äußerte, Fintan sei von dieser Krankheit heimgesucht worden, weil er sich während der großen Synode von Magh Lene gegen die Autorität Roms aufgelehnt hatte. Er hatte sogar einige der Entscheidungen des Bischofs von Rom kritisiert, wie zum Beispiel dessen Zustimmung zu dem Edikt von Lyon, in dem festgelegt wurde, daß die Leprakranken von nun an aus der Gemeinschaft ausgeschlossen seien und eine Glocke bei sich tragen müßten, um ihre Mitmenschen vor sich zu warnen.«
Fidelma holte ungeduldig Luft.
»Uns geht es nicht um solche Heimsuchungen und ebensowenig darum, was an unserer Kultur und in unserer Kirche richtig oder falsch ist.« Sie blickte zu der Leiche auf dem Tisch hinüber.
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