Der Tod soll auf euch kommen
Der Zwerg trug nun wieder seine Kutteund war für das Begräbnis vorbereitet worden. Der Anblick der kleinen kinderähnlichen Gestalt war mitleiderregend.
»Nun gut«, sagte sie. »Wir möchten jetzt einige Minuten allein in deiner Hütte sein. Wartest du mit meinen Begleitern draußen? Fiachrae, du kannst hierbleiben. Eadulf, bitte Capa, die Spielleute reinzuschicken.«
Eadulf führte den verstimmten Heilkundigen zur Tür. Draußen standen Capa und seine Männer mit sechs kleinen Menschen in grellfarbigen Gewändern, offensichtlich die Theatertruppe.
»Sie können nun eintreten«, rief er Capa zu.
Der Krieger nickte, und die Spielleute liefen auf merkwürdige Weise an Eadulf vorbei in die Hütte des Apothekers, wobei sie sich neugierig umschauten.
Kaum waren sie eingetreten, als einer von ihnen einen Klageruf ausstieß und auf die Leiche auf dem Tisch deutete. Da schrien auch die anderen entsetzt auf. Für Fidelma erübrigte sich die Frage, ob sie den toten Mann kannten.
Derjenige, der den Klageruf ausgestoßen hatte, lief auf die Leiche zu und zupfte an ihr, als wolle er sich vergewissern, daß ihr Gefährte wirklich tot sei. Fidelma entdeckte zwischen ihm und der Leiche eine große Ähnlichkeit. Er schien von allen am meisten erregt zu sein, und es war bedrückend, seinen Kummer mit anzusehen.
Sie ging zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Es tut mir leid, daß ich euch ohne Vorwarnung habe eintreten lassen. Ich wollte nur wissen, ob du oder einer deiner Gefährten den Toten erkennt.«
Der Zwerg hatte mit den Tränen zu kämpfen und sah zu ihr hoch.
»Natürlich erkenne ich ihn. Er war mein Bruder und gehörte zu unserer Truppe.« Wie viele seinesgleichen lispelte er.
»Und sein Name war Forindain?«
Der Zwerg starrte sie einen Moment an, dann schüttelte er den Kopf.
»Er hieß Iubdán. Forindain bin ich.«
Fidelma verbarg ihre Überraschung. »Dein Name ist Forindain?«
»Als solcher bin ich bekannt«, erwiderte der Zwerg. »Un sere richtigen Namen sind das nicht. Wir verwenden die Namen der Charaktere, die wir spielen. In unserer kleinen Liebesgeschichte von Bebo spiele ich den Forindain.«
»Und du bist kein Mönch, Forindain?«
»Das gehört zu meiner Rolle dazu – Bruder Forindain, der Leprakranke, betrügt in der Geschichte die Faylinn. Warum willst du das alles wissen?« Die Augen des kleinen Mannes wanderten zu seinem toten Bruder, und er bemerkte die Verkleidung, in der er steckte. »Ach, ich verstehe.«
»Da verstehst du mehr als ich«, sagte Fidelma. »Forindain, es tut mir leid, daß dein Bruder tot ist. Glaube mir. Aber ich bin eine
dálaigh,
und ich muß herausfinden, wie und warum er umgebracht wurde …«
»Ist er umgebracht worden?« fragte der Zwerg. Jetzt erst hatte er den Abdruck des Stricks am Hals seines Bruders bemerkt. »Wer sollte wohl einen
crossan
umbringen wollen, einen fahrenden Schauspieler, der nirgendwo Feinde hat?«
»Genau das muß ich herausfinden. Komm mit mir in Fiachraes Zelt, dort wollen wir uns darüber unterhalten, und ich verspreche, daß ich dich und deine Gefährten anschließend in Ruhe trauern lassen werde.«
Der Zwerg zögerte, sah noch einmal seinen toten Bruder an und trat zu seinen Freunden.
»Unsere Trauer müssen wir einen Augenblick aufschieben. Einer von uns muß die Leute draußen informieren, daß wir unser Stück heute nicht geben. Ein anderer muß dafür sorgen, daß unser Freund, mein Bruder, in ein
recholl,
in ein Totenhemd, eingehüllt wird. Und wir müssen die Totenbahre vorbereiten, die
fuat,
damit wir ihn zu Grabe tragen können. Ich werde den Stammesfürsten fragen, wo wir ihn begraben dürfen. Also helft mir, meine Freunde, unterdessen spreche ich mit der Richterin. Wenn wir fertig sind, können wir gemeinsam mit der Totenwache beginnen, bis zum nächsten Tag trauern und dabei unsere Stimmen zum traditionellen
caoine
erheben.«
Fidelma überraschte sein eindringlicher Sprechrhythmus, seine wohlartikulierte Rede. Doch der kleine Mann war ja Schauspieler.
Fiachrae führte Fidelma und den Kleinwüchsigen ins Zelt. Capa und seine Männer wies Fidelma an, sich zu stärken, bis sie wieder gebraucht wurden. Im Zelt ließ Fiachrae alle Platz nehmen und rief nach einem Diener, der
corma
bringen sollte. Zu seiner Überraschung schlugen all seine Gäste das starke Getränk aus, er jedoch schenkte sich einen ordentlichen Schluck davon ein.
»Du hast jetzt hier das Sagen, Cousine«, stellte er dann fest. »Tu, was du für
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