Der Tod steht ins Haus
Abends
ist ihm entwischt.«
»Die kleine Schwarze«, sagte
der andere Mann leise, »zu dumm!« Er lächelte noch immer, aber es sah jetzt
irgendwie anders aus und machte mich richtig nervös.
Er mußte dieser Mike English
sein, von dem Eddie gesprochen hatte und den er nicht besonders leiden konnte,
ein großer, ziemlich ungeschlachter Kerl — schätzungsweise zwei Zentner —, mit
schwammigem Gesicht, wasserblauen Augen und einer Haarfarbe wie unverdünnter
Bourbon.
Der Mann blickte sich ausgiebig
im Zimmer um und musterte uns nacheinander. Als ich an der Reihe war, verriet
das plötzliche Glitzern in seinen Augen, daß er sich jede Einzelheit ausmalte,
die ihm mein Chiffonkleid verborgen hielt.
»Sie sollten Ihre schmutzige
Phantasie mal chemisch reinigen lassen, Mr. English«, empfahl ich ihm
liebenswürdig.
»Du bist dufte«, grinste er.
»Du kannst Mike zu mir sagen.«
»Ich bin Mavis Seidlitz«,
erwiderte ich, »und Sie dürfen mich Miss Seidlitz nennen.«
»Ich stehe auf Typen wie du,
mit vorn und hinten was dran«, sagte er ruhig. »Mollige Blondinen — es macht
mir direkt Spaß, die winseln zu hören.«
»Laß sie in Ruhe, Mike«, sagte
Eddie kalt. »Mavis ist ein nettes Mädchen, so etwas hast du noch nie
kennengelernt. Im übrigen zieht diese Masche nicht, du wirkst ganz einfach
dämlich.«
»Warte nur ab, wie dämlich du
aussiehst, wenn ich dir die Schnauze eingeschlagen habe, Howard.« Mike English
hätte Eddie am liebsten mit Blicken erwürgt. »Und ich könnte...«
»Aufhören!« fauchte Romayne.
»Ihr beide sollt auf mich aufpassen und nicht eure Privatfehden austragen,
verstanden?«
»Ist ja gut, Ray«, sagte Mike
verträglich. »Eddie und ich können uns eben nicht riechen, aber das hat Zeit,
bis die Geschichte hier erledigt ist.« Er wandte sich an Sam Barry. »Erzählen
Sie uns mal etwas über das Wunderkind, das Morde sieht, die noch nicht
stattgefunden haben.«
»Ich weiß nichts über Dolores«,
sagte Sam scharf. »Das habe ich ihm schon gesagt.« Er wies mit dem Daumen auf
Eddie.
»Dann erzählen Sie es mir noch
einmal«, sagte Mike. »Vielleicht bessert sich Ihr Gedächtnis mit der Zeit.«
Sam zuckte die Achseln. »Jede
Woche stelle ich in meiner Show ein paar Verrückte vor. Ich kümmere mich nicht
weiter darum, wo sie herkommen oder wer sie sind, Hauptsache, sie sind
interessant für das Publikum. Diese Dolores war sehr attraktiv und
interessierte sich, wie sie mir sagte, für die freie Liebe — das klang nach
einer Verrückten. Daher nahm ich sie heute abend in die Show auf, mehr weiß ich
auch nicht.«
Mike steckte sich eine
Zigarette an und blickte zu Abigail. »Was ist mit Ihnen? Was wissen Sie?«
»Ich habe das Mädchen vor
dieser Show heute abend noch nie im Leben gesehen«, erwiderte sie unbewegt.
»Wenn Sie mich fragen«, sagte
Sam Barry, »so ist die ganze Sache ein dummer Witz, und wir vergeuden unsere
Zeit, indem wir hier herumsitzen und auf etwas warten, das doch nicht
passiert.«
»Es hat Sie aber niemand
gefragt«, sagte English. »Wenn es ein Witz ist, warum hat man dann gerade Ray
ausgesucht?«
»Das weiß ich auch nicht.« Sam
zuckte die Achseln. »Aber eines ist klar: Er hat ein paar merkwürdige Freunde.«
Bubbles gähnte laut und hielt
ihrem Mann ihr leeres Glas entgegen. »Liebling, ich brauche noch einen kleinen
Schluck.«
»Ja, natürlich.« Romayne nahm
ihr Glas und blickte sich um, ob noch jemand etwas zu trinken wollte. »Was ist
mit dir, Mike?«
»Scotch«, sagte Mike. »Wenn
niemand etwas über diese Dolores weiß, bleibt uns wohl nichts anderes übrig,
als hier bis vier Uhr zu warten.«
Romayne sah auf die Uhr. »Noch
anderthalb Stunden«, sagte er. »Es ist, als ob man auf sein eigenes Begräbnis
wartet. Eddie, sieh doch noch einmal draußen nach, ob die Jungens auf ihrem
Posten sind.«
Abigail starrte ihn mit trüben
Augen an. »Sie haben das Aussehen eines Toten, Mr. Romayne«, sagte sie langsam,
als Eddie das Zimmer verließ. »Ich frage mich, was Sie getan haben, daß sie Sie
so behandeln.«
»Wer?« fragte Romayne scharf.
»Die Unsichtbaren«, erwiderte
sie schlicht. »Die Bösen, die unsere Geschicke kontrollieren.«
»Hören Sie auf!« sagte Romayne
heftig. »Oder ich lasse Mike dafür sorgen, daß Sie still sind.«
»Reg dich nicht auf, Ray.«
Mikes Stimme klang leicht ironisch. »Du weißt, wir haben noch eine lange
Wartezeit vor uns.«
Wieder verging, wie mir schien,
schrecklich lange Zeit, ohne daß jemand sprach.
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