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Der Tod traegt Turnschuhe

Der Tod traegt Turnschuhe

Titel: Der Tod traegt Turnschuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
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und lauschte auf das Geräusch des Windes. Entweder es würde einfach klappen oder es würde rein gar nichts passieren. Was ich zu tun hatte, wusste ich jedenfalls in- und auswendig nach den unzähligen Nächten auf dem Dach, in denen ich es vergeblich versucht hatte.
    Ich setzte mich an den Straßenrand und rutschte so lange hin und her, bis sich mir keine Steinchen mehr in die Knöchel gruben.
    Verständlicherweise starrte Nakita mich an.
    »Ich kann das doch nicht so gut«, erklärte ich etwas verlegen. »Ich setz mich lieber hin.« Ich schloss die Augen und atmete dreimal tief ein - das machte ich immer, wenn ich ein bisschen zur Ruhe kommen wollte. Meine Schultern entspannten sich und ich atmete wieder aus. Vor meinem inneren Auge versuchte ich mir meine Aura vorzustellen. Eigentlich hatte ich ja gar keine Aura, weil ich tot war. Nun war die Resonanz meines Amuletts sozusagen meine Aura. Da ich das Amulett eines schwarzen Zeitwächters hatte, hatte meine Aura - oder die Resonanz - ein so dunkles Lila, dass es im normalen Farbspektrum nicht mehr sichtbar war und darum schwarz wirkte. Mit geschlossenen Augen griff ich nach dem schwarzen Stein, der in seiner Silberfassung an einer schlichten Kordel um meinen Hals hing. Solange ich mich nicht weiter als sechs Meter von dem Stein entfernte, hatte ich die Illusion eines Körpers. Vergrößerte sich die Distanz, würden mich die Schwarzflügel aufspüren und herbeischwärmen, um meine Seele zu fressen. Sechs lausige Meter trennten mich also von meinem endgültigen Tod. Es sah ziemlich genauso aus wie das Amulett eines Todesengels, aber es war viel machtvoller und - Nakita hatte recht - flexibler. Als ich es meinem Vorgänger entrissen hatte, war meine Seele nicht zu Staub zerfallen, was normalerweise passierte, wenn Menschen das Amulett eines Todesengels berührten.
    Die meisten Leute sahen es noch nicht mal, wenn ich sie nicht darauf hinwies. Ich konnte es abnehmen, aber das tat ich nicht gern.
    Die Silberdrähte, in die der Stein eingefasst war, fühlten sich warm an, doch der Stein selbst war noch wärmer, als würde er die Hitze der Sonne in sich speichern.
    Alles, was ich - rein theoretisch - zu tun hatte, war, mir vorzustellen, wie meine Gedanken dieselbe Farbe oder Wellenlänge annahmen wie meine Aura, sodass sie sich von mir lösten. Dann musste ich die Farbe meiner Gedanken an Barnabas' Aura anpassen, damit sie durch seine Aura zu ihm durchdringen konnten. Seine Resonanz war jetzt grün. Es dürfte also nicht mehr so schwierig sein wie vorher, als ich mich durch das ganze Spektrum nach oben bewegen musste. Vielleicht klappte es ja. Vielleicht.
    Ich stellte mir Barnabas vor, sein Lächeln, seinen schwarzen Humor, seine seltsame Sicht auf die Welt, seine braunen Augen, die sein wahres Alter erahnen ließen und die silbern aufleuchteten, wenn er das Göttliche berührte. Barnabas, dachte ich und machte meine Gedanken so »lila« wie nur möglich, damit sie durch meine Aura gleiten konnten. Nakita und ich sitzen hier irgendwo auf der Straße fest.
    Ein Schauer durchlief mich, als ich fühlte, wie meine Gedanken ausflatterten und von der Oberfläche der Atmosphäre abprallten, die die Erde umgab. Dann aber schien meine Gedankenwelt in einem hellen Lichtblitz zu explodieren. Erschrocken öffnete ich die Augen und blinzelte.
    »Ich konnte spüren, wie sie sich von dir gelöst haben«, sagte Nakita und lächelte. »Aber dann haben sie sich in der Sonne gebrochen und sind zersprungen. Du musst deine Gedanken an Barnabas' Aura anpassen, bevor sie von der Atmosphäre abprallen, nicht danach.«
    Sie konnte es spüren, dachte ich und unterdrückte einen nervösen Schauder. Barnabas hatte beim Üben nie so was gesagt. Unbehaglich rutschte ich auf dem Straßenpflaster hin und her, um zu verbergen, dass ich zitterte.
    Ich überlegte, wie bescheuert ich auf jemanden, der vorbeifuhr, wirken musste. Nicht dass uns bisher auch nur eine Menschenseele auf dieser Straße begegnet wäre. Aber ich war meinem Ziel noch nie so nah gewesen. Nakita hatte mir auch beigebracht, wie ich das Licht um mein Amulett biegen konnte, um es unsichtbar zu machen. Vielleicht war sie ja trotz ihrer so gut wie nicht vorhandenen sozialen Kompetenzen einfach eine bessere Lehrerin. Und Barnabas wäre doch bestimmt total aus dem Häuschen vor Freude.
    »Ich versuch's noch mal«, flüsterte ich. Ich schloss wieder die Augen und beruhigte meine Gedanken, um sie an meiner Resonanz-Aura vorbeizuschleusen. Dann

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