Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
mich davon zu überzeugen, dass ich den Rest meiner Tage nicht als Trauerkloß verbringen und mehr Spaß haben sollte. Tatsächlich brachte er mir das Surfen bei, nachdem er ein Brett auf Hawaii geklaut hatte. Ich vergaß Anja darüber nicht, aber es fraß mich nicht mehr ganz so auf wie vorher. Und in all der Zeit auf der Insel sprach er mich nie auf meine Rolle als sein Nachfolger an.
Bei meiner Rückkehr hatte ich mich wieder in einen funktionierenden Menschen verwandelt. Besuche bei Anja konnte ich mit etwas mehr Optimismus und weniger flauem Magen absolvieren. Wir begannen uns wieder zu verstehen und zu akzeptieren. Bald sah ich Anja und Tobias fast genauso oft wie in der Zeit, wo wir noch alle unter einem Dach wohnten. Ich ließ keine Gelegenheit aus, um mit Tobias etwas zu unternehmen. Mittlerweile war er zu einem kleinen Bengel geworden und fing an, in die Schule zu gehen. Das war im September 2008. Noch bevor sein erstes Schuljahr vorbei war, kam mein großer Tag.
Kapitel 52
Der Mai brach an, und ich beschloss, noch einmal mit Tobias ins Sea-Life und in den Aquadom zu gehen. Der Kleine hatte eine derartige Leidenschaft für das Wasser und seine Bewohner entwickelt, dass jegliche Zweifel an meiner Vaterschaft nie aufkommen könnten. Aus dem Glastunnel, wo er von allen Seiten von Fischen und Haien umgeben war, wollte er gar nicht mehr weg und starrte fasziniert das künstliche Riff und die Korallen an, die man in das Aquarium gesetzt hatte. Immer wieder rannte er den Weg zurück, um durch die anderen Glasfenster zu schauen, wenn er gerade wieder einen interessanten Fisch gesehen hatte, den er länger beobachten wollte und der sich nun in eine andere Ecke des Bassins bewegte.
Ich ließ ihn einfach laufen und seinen Spaß haben. Es freute mich, ihn so fröhlich zu sehen. Allerdings war er etwas unachtsam, wie er durch die Gegend rannte. Eine Mutter Anfang 30 wollte gerade mit ihrer kleinen Tochter in den Glastunnel gehen, als Tobias herausgeschossen kam und mit vollem Schwung das Mädchen umstieß. Sie fielen beide hin, taten sich aber glücklicherweise nichts. Ich sprang sofort auf, um zu helfen und Tobias zurechtzuweisen.
„Tobi, ich hatte dir gesagt, dass du vorsichtig sein sollst!“ Ich half dem kleinen Mädchen auf und wandte mich an seine Mutter. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber er ist immer total kirre, wenn er im Aquarium ist.“
Sie schaute mich aus nussbraunen Augen an, in denen ich Lebensfreude ebenso wie Verlust spürte. Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie die Kleine an die Hand nahm, der nichts weiter passiert zu sein schien.
Als ich mich von ihrem Anblick löste, wandte ich mich an Tobi, der mit schuldigem Blick neben mir stand. „Entschuldigst du dich bei den beiden Damen?“
„Tut mir leid“, sagte Tobias. „Ich hatte einen Napoleon gesehen und wollte dem hinterher.“
„Was ist denn ein Napoleon?“, fragte das kleine Mädchen.
Tobias schien wie angeknipst zu sein, nahm das Mädchen an die Hand und rief nur laut: „Komm mit, ich zeig’s dir!“
Ehe die Frau oder ich reagieren konnten, rannten die beiden zu den Fenstern hinter der Ecke, und wir standen beide mit offenem Mund da. Wir gingen den beiden hinterher und beobachteten, wie Tobi der Kleinen die verschiedenen Fischarten erklärte, wobei er weit ausholende Gesten machte und zum Teil sogar die lateinischen Namen der Fische sagte.
„Ihr Sohn ist ein ziemlich aufgewecktes Kerlchen“, sagte die Frau und lächelte.
„Danke. Er überrascht mich auch immer wieder. Ihre Tochter scheint aber auch ernsthaft an seinen Ausführungen interessiert zu sein.“
„Sie ist zum ersten Mal hier und völlig fasziniert. Ich werde wohl Probleme haben, sie hier wieder herauszubekommen.“
„Wem sagen Sie das. Aber glücklicherweise zieht bei meinem immer, wenn ich ihm sage, dass wir noch zum Aquadom wollen. Da muss man ja ins andere Gebäude.“
„Ach so?“, sagte die Frau erstaunt, „Hab mich schon gefragt, wo das ist.“ Dann setzte sie fröhlich hinzu: „Vielleicht können Sie uns das ja zeigen.“
„Aber gern doch“, erwiderte ich und lächelte sie an, woraufhin sie ihre Hand ausstreckte und zurücklächelte.
„Ich bin übrigens Monika.“
Monika und ihre Tochter Sophie begleiteten uns durch den Rest des Aquariums. Tobi und Sophie schienen sich prächtig zu amüsieren und waren auf einmal Feuer und Flamme hinauszugehen, nachdem Tobi der Kleinen vom Aquadom erzählt hatte. Kaum waren wir im
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