Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens
schätze, ich sollte froh sein, dass ich immerhin geliebt habe. Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich das nicht tun sollen.“
Tod seufzte.
„Wir reden zu viel“, sagte ich. Ich griff unter den Couchtisch und zog meine Schachtel mit dem Spielbrett und den Schachfiguren hervor. „Lass uns spielen.“
Es war Jahre her, dass ich Schach gespielt hatte. Tatsächlich war Tod mein letzter Gegner bei diesem Spiel gewesen. Und so merkwürdig es klingt: Ich hatte unsere Partien vermisst.
„Mir gefällt nicht, wie du dich gehenlässt“, sagte Tod etliche Züge später zu mir.
„Mir gefällt nicht, dass du mich ins Schach gesetzt hast“, erwiderte ich.
Der Fernseher lief nebenbei, und in den Nachrichten kam die Meldung über ein heftiges Erdbeben in Peru. Ich sah Tod fragend an. Er setzte nur sein typisches Grinsen auf.
„Keine Bange. Ich kümmere mich bereits darum.“
„Schlimm?“
„Ungefähr 500 Tote. Hab gerade ganz gut zu tun.“
„Und du bleibst trotzdem hier?“
„Sollte ich dich etwa allein lassen? Ich mache mir nämlich Sorgen um dich. Ich will nicht, dass du dir vor deiner Zeit das Leben nimmst.“
Ich lachte. „Willst du mir etwa sagen, dass du versuchen würdest, mich vom Selbstmord abzuhalten? Pass bloß auf, nachher fängst du noch an, mit mir im Krankenhaus Patienten zu retten.“
Tod grübelte einen Moment lang darüber nach.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht der Selbstmord-Typ, obwohl ich weiß Gott genug Grund dazu hätte.“
„Hast du denn schon alle Vorbereitungen getroffen?“, fragte Tod interessiert.
„Was meinst du damit? Lebensversicherungen? Meine Bestattung schon im Voraus bezahlen? So etwas?“
Er nickte.
„Scheiß drauf“, sagte ich. „Na ja, eine Lebensversicherung habe ich schon. Die ist dann für Tobias. Ansonsten … nach mir die Sintflut.“
„Du nimmst die ganze Sache lockerer, als ich angenommen hatte“, bescheinigte mir Tod.
„Tue ich das? Ich weiß nicht. Ich habe schon eine Scheißangst. Du hast mir heute außerdem noch gar nicht deinen Job angeboten.“
„Du hast deine Wahl getroffen, oder etwa nicht?“ Ein wenig Hoffnung schwang in seinen Worten mit.
Ich nickte nur und konzentrierte mich auf das Brett. Er hatte mir zwar Schach angesagt, aber mir blieben noch ein paar Optionen offen. Dummerweise ahnte ich, dass ich, selbst wenn ich mich sofort um seine Dame kümmerte, mich an anderer Stelle zu sehr öffnen würde.
„Ich glaube, du hast mich geschlagen“, sagte ich.
Tod schaute sich das Brett an. „Ja, ja, das habe ich.“
Ich legte meinen König um.
Tod schaute mich fragend an. „Was? Das Spiel ist noch nicht zu Ende.“
„Ich habe sowieso verloren, weshalb das noch herauszögern.“
„Gibst du so schnell auf?“
Ich stand auf, brachte die nahezu volle Whiskeyflasche raus und holte eine neue Flasche Saft aus der Küche. „Ja, ich denke schon. Hat doch alles keinen Sinn. Ich werde mich jetzt übrigens hinhauen. Muss morgen früh raus.“
Tod sah so aus, als würde er sich über meine Reaktion wundern, zuckte aber mit den Achseln und verabschiedete sich. Dann war er verschwunden. Ich schaute noch eine Weile aus dem Fenster, bevor ich endlich schlafen ging.
Am folgenden Tag gelang es mir, zwei Patienten vor dem sicheren Tod zu retten, aber ich verspürte keine Genugtuung mehr. Tod schien es mittlerweile egal zu sein, wenn ich in sein Handwerk pfuschte, auch wenn er zunehmend grüblerischer wirkte. Bald würde ich ihn ohnehin nicht mehr dabei belästigen.
***
Anderthalb Jahre vergingen, nachdem ich ausgezogen war, bis Anja endlich so weit war, die Scheidung einzureichen. Ich habe keine Ahnung, warum sie damit so lange gewartet hatte. Vielleicht hatte sie noch auf eine Chance für uns beide gehofft, andererseits hatte ich oft genug probiert, wieder alles in Ordnung zu bringen. Der Schleimbrocken von Anwalt, mit dem Anja eine Zeitlang ausgegangen war, erledigte den ganzen Papierkram für die Scheidungsvereinbarung. Ein kleiner Trost für mich war, dass die beiden zumindest in meiner Gegenwart nicht freundschaftlicher miteinander umgingen als Kunde und Brotverkäufer. Hatte Anja doch noch Geschmack bewiesen und sich nicht mit ihm eingelassen? Mir war es mittlerweile egal, weswegen auch alles eher zu meinen Ungunsten ausfiel.
Tod leistete mir Gesellschaft, als ich, nachdem die Scheidung rechtskräftig war, auf eine einsame Insel im Pazifik sprang, um dort eine Woche lang apathisch auf das Meer zu starren. Er versuchte
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