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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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Vorstellung, dass er irgendwann nicht mehr da wäre, dass beide Elternteile irgendwann nicht mehr da wären, behagte mir gar nicht.
    „Lass uns das nie wieder tun“, sagte ich zu ihm.
    Er lachte laut. Ich ging zu ihm und drückte ihn.
    „Ernsthaft. Lass uns das nie wieder tun“, wiederholte ich und ging ins Badezimmer, ihn mit einem verwunderten Gesicht zurücklassend.
    ***
    Das nächste halbe Jahr an der Schule war genauso wie vorher, aber dann auch wieder nicht. Das Gros der Schüler ignorierte mich, wie ich auch sie ignorierte, insofern gab es da nichts Neues. Anja hatte jetzt jedoch Notiz von mir genommen und grüßte mich freundlich, aber nach der Trennung von Frank wurde sie bald zum Ziel etlicher Jungs, die sich Chancen bei ihr ausrechneten. Immerhin dauerte es fast ein halbes Jahr, bis sie anscheinend jemanden gefunden hatte, den sie interessant genug fand. Es war ein Typ aus der Stufe über uns, dessen Namen ich längst vergessen habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Geschichte zwischen den beiden von längerer Dauer wäre. Ich wusste es einfach.
    Manchmal kam es mir so vor, als würde Anja sich gerne mit mir unterhalten oder in meine kleine Ecke auf dem Schulhof kommen, aber ihre Freundinnen und die Typen, die sie umschwärmten, schienen sie davon abzuhalten. Ich nahm an, dass generell viel über mich getuschelt wurde, da ich in der großen Pause regelmäßig in der Ecke stand und vermeintlich mit mir selbst diskutierte.
    Tod hatte tatsächlich begonnen, sich wieder öfter mit mir zu treffen. Jeden Tag kam er in der zweiten großen Pause. Auch er bemerkte die Blicke von Anja und begegnete ihnen mit Argwohn. Er murmelte deswegen ab und zu etwas vor sich hin, aber wenn ich ihn darauf ansprach, dann wechselte er schnell das Thema.
    Die richtigen Gesprächsthemen waren für Tod und mich seit jeher ein Problem, da sich unsere Interessen und Lebensumstände nur bedingt überlappten. Sein Leben, wenn man das so nennen konnte, bestand daraus, mit sterbenden Menschen umzugehen, mein Leben war dagegen geradezu belanglos.
    Neuerdings interessierte ich mich mehr für Musik, was nicht zuletzt an der kleinen Revolution der Rockmusik lag, die im Jahr zuvor in Seattle ihren Anfang nahm. Bands wie Pearl Jam, Alice In Chains und Soundgarden mischten die Charts und MTV auf. Nachdem ich ein paar der Jungs an der Schule darüber hatte reden hören, hatte ich mir ein paar CDs besorgt und war gleich Feuer und Flamme. Pearl Jam war ganz klar mein Favorit, besonders das Lied „Jeremy“, das von einem Jungen handelt, der sich vor seiner Englischklasse in den Kopf schießt. Als ich irgendwann mit einem Pearl-Jam-T-Shirt in die Schule kam, gab es etliches Getuschel, ob denn von mir ein ähnliches Verhalten zu erwarten wäre. Es kam mir fast so vor, als würde ich einige Leute enttäuschen, da ich es nicht tat.
    Tod teilte meine Leidenschaft für diese Art von Musik nicht. Wenn überhaupt, mochte er die Beatles. Er meinte, nur einmal etwas zu dem Thema Grunge-Musik sagen zu müssen, als es um diese andere Band aus Seattle ging, die sich Nirvana nannte.
    „Ich finde den Namen der Band lustig“, sagte er.
    „Wieso?“, fragte ich.
    „Weil die Art und Weise, wie der Sänger versucht, das Nirwana zu erreichen, recht spektakulär ist.“
    Ich dachte, dass er die Drogen ansprach, die offenbar vom Sänger konsumiert wurden. Erst zwei Jahre später sollte ich erfahren, was Tod wirklich damit meinte, als sich Kurt Cobain mit der Schrotflinte in den Kopf schoss.
    Gegen Ende des vorherigen Jahres waren einige berühmte Leute gestorben, wie z.B. Gene Roddenberry, der Erfinder von Star Trek, oder Freddie Mercury, der Sänger der Rockgruppe Queen. Ich wollte wissen, ob es irgendwelche interessanten Dinge gab, die bei ihrem Tod passiert waren, aber Thanatos blieb recht schmallippig in dieser Hinsicht. Er meinte, wenn mich das so interessieren würde, dann könnte ich ja seine Nachfolge antreten, aber ich lehnte jedes Mal wieder ab. Auf die Frage, ob es denn irgendwelche interessanten letzten Worte von Berühmtheiten gegeben habe, antwortete er mir nur, dass die meisten Leute recht profanen Kram im Moment des Todes sprachen.
    „Meist ist es nur ein ‚Argh!‘ oder ein simples ‚Scheiße!‘“, sagte Thanatos. „Irgendwelche philosophischen oder existenziellen Erkenntnisse sind es jedenfalls nicht.“
    ***
    Als das Frühjahr kam, war es wieder an der Zeit, die Rettungsstation für die Saison vorzubereiten. Das bedeutete auch, dass

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