Der Tod und der Dicke
unten ging, vielleicht war es aber auch nur ein ganz natürliches Blinzeln.
3
Melodiöses Tremolieren
Cap Marvell war keine fromme Frau. Ihr Vater, von Stammes wegen Anglikaner, betrachtete die Kirche lediglich als Gottes Werkzeug, das Herrschaftsrecht der Torys zu bekräftigen, selbst wenn Labour an der Macht war. Ihre Mutter, eine gläubige Katholikin, stellte hingegen sicher, dass die kleine Amanda gemäß den römisch-katholischen Bräuchen erzogen wurde, und bestand darauf, dass sie auf ihre eigene alte Schule ging, die St. Dorothy’s Academy for Catholic Girls, die sie als das einzige doktrinell brauchbare Internat des Landes betrachtete.
Doch trotz dieser Versuche, sie unter die heilige Fuchtel des Vatikans zu bringen, war es die gute, alte, einheimische Kirche von England, die sich eine Nische in Caps Zuneigung bewahren konnte, als ihre reife Skepsis alle anderen religiösen Trümmer hinwegfegte; eine Zuneigung, die fast gänzlich auf Kindheitserinnerungen an ihren Vater gründete, der entschieden darauf beharrt hatte, dass seine ganze wohlgeordnete, aus Terriern, Jagd-, Vorsteh- und Apportierhunden bestehende Meute sich zu ihm in den Familienstuhl der Dorfkirche gesellte.
Sie hasste den Zweck, zu dem sie gehalten wurden, aber sie liebte ihre Gesellschaft, und ein Himmelreich ohne Tiere war keines, in das sie eintreten mochte.
Andy Dalziel war der Meinung, falls es einen Gott gäbe, sollte man ihn sich wegen Vernachlässigung seiner Pflichten vorknöpfen, da er seine Schöpfung hatte so verfallen lassen und sich auf Typen wie A. Dalziel Esq. verließ, die das alles wieder aufräumen mussten.
Das hielt ihn nicht davon ab, sich mit dem einen oder anderen Kleriker gut zu stellen, vor allem dann, wenn sie sein Interesse an den wirklich wichtigen Aspekten der condition humaine teilten, die in den Fragen gipfelten, wo der beste Whisky aufzutreiben war und welche fünfzehn Spieler man sich für sein eklektisches All-Time-Rugby-Team aussuchte.
Ein solcher war Vater Joe Kerrigan, ein Gemeindepriester undefinierbaren Alters mit einem runzeligen Gesicht wie das eines alten, luftleeren Rugby-Balls. Sport und Whisky hatten die beiden zusammengeführt, und nachdem sie sich auf die Grundregel geeinigt hatten, dass Kerrigan keine Verbrechen aufzuklären und Dalziel keine Seelen zu retten versuchte, waren sie gute Freunde geworden, die in so manchen Nächten mit ihren Gesprächen den Mond ermüdet und ihn unter den Himmel geredet hatten.
Cap, getreu ihres eigenen Unglaubens und Dalziels fester Überzeugung, dass die meisten religiösen Zeremonien Dreck, und die, die nicht Dreck waren, Scheiße seien, hatte ein striktes Interdikt ausgesprochen, das jedem aus dem Pack der Seelenräuber, die auf der Suche nach ihrer wehrlosen Beute die Korridore moderner multireligiöser Krankenhäuser durchstreiften, den Zugang zu seinem Zimmer verwehrte.
Joe Kerrigan allerdings war eine Ausnahme. Seine Pein aufgrund Andys Notlage war persönlicher und weniger professioneller Natur, weshalb er ihr Imprimatur als Freund und nicht als Priester erhielt.
Doch keiner kann aus seiner Haut, und an jenem Nachmittag war Vater Kerrigan, der das Central besuchte, um einem im Sterben liegenden Gemeindemitglied die letzten Sakramente zu spenden, ganz und gar in seinem professionellen Modus, als er beschloss, auf seinem Weg nach draußen kurz bei Dalziel vorbeizuschauen.
Der seit den Ereignissen am Sonntag vor das Zimmer abgestellte wachende Constable erkannte den Priester und ließ ihn ohne zu zögern ein.
Zum ersten Mal war Vater Joe nun allein mit seinem Freund, und die Gebete, die er bislang aus Ehrerbietung und, es muss gesagt werden, auch aus Angst vor Cap Marvell nur im Stillen für sich gesprochen hatte, strömten ihm nun laut und spontan über die Lippen. »Lieber Jesus, göttlicher Arzt und Heiler der Kranken, wir wenden uns an dich in dieser Stunde der Krankheit …«
Und während er die Worte des Priesters sprach, gingen ihm die Gedanken des Freundes durch den Kopf. »Wo steckst du, Andy, mein Lieber? Bist du noch am Leben, oder rede ich mit einem Klumpen Fleisch, in dem das Herz noch schlägt, aber aus dem der Geist und die Seele längst entflohen sind?«
Tatsächlich ist Dalziel näher, als Kerrigan ahnen, und weiter entfernt, als er sich vorstellen kann. Am Leben ist er noch, doch der Punkt des Bewusstseins, auf den sein Dasein sich jetzt vollständig konzentriert, hat sich in den hintersten Winkel der Finsternis
Weitere Kostenlose Bücher