Der Tod und der Dicke
zurückgezogen, ganz nahe heran an die oblatendünne Membran, die ihn vom weißen Licht des Anderswo trennt.
Er ist dort teils aus Notwendigkeit, ist dies doch der Ort, an den er automatisch treibt, wenn der Überlebenswille wieder einmal nachlässt, teils aber auch aus eigenem Entschluss, da er, im Grunde seines Wesens ein Gesellschaftstier, mit den schattenhaften Gestalten seines eigenen Bewusstseins, die seine komatöse Vorhölle bevölkern, nicht angemessen kommunizieren kann. Hier jedoch, gleich auf der anderen Seite der Membran, gibt es etwas, was eindeutig anders ist als er selbst.
»Ich weiß, dass du da drin bist. Wir haben dich umstellt. Komm mit erhobenen Händen raus, und wir können alle nach Hause gehen.«
Diese Herangehensweise erweist sich als ebenso erfolglos wie in der Mill Street.
»Wenn mein Bursche Pascoe hier wäre«, sagte Dalziel, »würde er dich in null Komma nichts rausquatschen. Der war nämlich auf einem Kurs.«
Es rührt sich etwas. Nicht unbedingt eine erkennbare Bewegung, sondern etwas ähnlich dem leisesten Windhauch in einem Wald an einem ruhigen Tag, der einen an das riesige Blätterdach gemahnt, unter dem man steht. Aber für Dalziel reicht es.
»Du bist also da«, sagt er triumphierend. »Wunderbar. Wir kommen also voran. Das Nächste, was ansteht, ist, einen Namen zu finden, so steht es in den Anleitungen. Ich bin Andy. Wie soll ich dich nennen? Gott, oder?«
Wieder die Brise zwischen den Bäumen, und diesmal glaubt er, dessen Sinn zu erhaschen.
Komm doch einfach rüber und schau selber nach!
»Nee, nee«, sagt Dalziel. »Das letzte Mal, als ich das probiert habe, bin ich in die Luft geflogen. Einen Moment. Was ist da los?«
Neben seiner kurzen außerkörperlichen Erfahrung, die zu einem jähen Ende gekommen war, als er Hector im Bett hatte liegen sehen, und was ihn in die Sicherheit seines Komas zurückgetrieben hatte, fehlt ihm jeglicher Sinn für einen externen Kontext.
Er weiß nur, dass es am Ende der Finsternis, am gegensätzlichen Ende der Membran, die ihn vom weißen Licht des Anderswo trennt, ein anderes Anderswo gibt, und aus dem stammen diese Empfindungsfragmente, die noch immer über die Macht verfügen, ihn zu sich zurückzurufen.
Und was jetzt von dort zu ihm durchdringt, ist eine Art monotones Murmeln, das sich allmählich in einzelne Worte aufspaltet.
Allmächtiger und ewiger Gott, ewiger Erlöser aller, die deines Glaubens sind, erhöre mich im Namen deines kranken Sohnes, Andrew …
»Verdammte Scheiße!«, empört sich Dalziel. »Irgend so ein Arsch betet zu mir!«
Zu mir, für dich, wie du vielleicht feststellen wirst, korrigiert der Windhauch im Wald.
»Ist doch dasselbe. Du musst dich bei deiner Arbeit wohl mit einem Haufen von diesem Zeugs rumschlagen. Wie zum Teufel hältst du das bloß aus?«
C’est mon métier , sagt der Wind.
»Richtig. Genau wie bei mir, wenn ich diesen Windbeuteln zuhören muss, die mir erzählen wollen, dass sie in der fraglichen Nacht ganz woanders waren und in der Armenküche Suppe ausgegeben haben.«
So in der Art.
»Also, was treibst du sonst noch, wenn du dir nicht dieses Gefasel anhörst? Es muss doch noch was auf deiner Seite geben, was dich derart beschäftigt, dass du dich nicht mehr um die Dinge auf meiner Seite kümmern kannst.«
Du glaubst noch immer, du seist Teil dessen, was du deine Seite nennst?
»Warum nicht?«
Komm zu mir, und wir reden darüber.
»Nein, so leicht kriegst du mich nicht. Näher komm ich nicht. Ist für meinen Geschmack sowieso schon ein bisschen zu nah. Da rück ich lieber wieder ein Stück weg. So.«
Bis bald dann.
»Das klingt, als wärst du dir dessen ziemlich sicher.«
Das bin ich. Du wirst wiederkommen. Und bei jedem Mal wirst du feststellen, dass es schwieriger wird, sich wieder zurückzuziehen.
»Ist das so? Dann ist das aber nicht sehr clever, wenn du es mir erzählst.«
Ich erzähle es dir, weil du gar nicht anders kannst, als zurückzukommen. Und ich erzähle es dir, weil du natürlich schon weißt, dass du es weißt.
»Klugscheißer mag man nicht«, entgegnet Dalziel, als er sich zurückzieht.
Aber er muss sich eingestehen, dass die windhauchähnliche Präsenz recht hat. Es ist verdammt schwierig, und wäre nicht die Hilfe dieser Lautkaskaden gewesen, hätte er es nicht geschafft.
Was ihn aber nicht weniger aufbringt, als er so nahe ist, um zu erkennen, dass das Trauergemurmel wirklich nichts anderes ist als ein Gebet. Von Gebeten weiß er nur, dass
Weitere Kostenlose Bücher