Der Tod und der Dicke
den Motor an.
»Dann sind Sie gar nicht der Boss?«, fragte die Frau.
»Wie bitte?«
»Dachte, bei Polizisten ist es immer so, dass der Boss auf dem Beifahrersitz sitzt.«
»Kommt ganz darauf an. Sie waren schon öfter in Streifenwagen?«
»Sie würden staunen«, sagte sie wissend und blinzelte Rod zu.
Plötzlich wurde Pascoe bewusst, wo er den Namen Tottie schon mal gehört hatte. Von Andy Dalziel, an jenem Tag, der in einem ganz anderen Leben zu liegen schien und an dem sie zusammen hinter dem Wagen in der Mill Street gekauert hatten. Der Dicke hatte von einer alten Tanzpartnerin geschwärmt, Tottie Truman aus Doncaster, ein Mädel, das für ihren Geist, Körper und Tango bekannt war.
War das dieselbe Frau, die ihre Reise von dem einen Mecca zu einem anderen fortgesetzt hatte? Hatte Dalziel nicht gesagt, sie sei religiös geworden? Musste mal bei ihm nachfragen … falls sich die Möglichkeit jemals noch ergeben sollte …
»Links«, sagte die Frau laut. »Sind Sie taub?«
Sein Autopilot, der den Wagen vor einer Kreuzung zum Halt gebracht hatte, verfügte offensichtlich über keinen Audio-Anschluss.
»Tut mir leid«, sagte er und bog ab.
»Bis zur Ampel, dann rechts«, befahl sie. »Die Moschee ist fünfzehn Meter weiter.«
»Wo?«, fragte er, als er erneut abbog.
»Da!«, sagte sie. »Können Sie nicht lesen?«
Er blickte sich um und sah nicht die weiße Kuppel und das hohe Minarett, nach denen sein Autopilot Ausschau gehalten hatte, sondern ein großes Schild, das ihm auf Englisch und Urdu zu verstehen gab, dass er an der Marrside-Moschee angekommen sei, einem alten roten Backsteingebäude, in dem im Türsturz des scheußlichen Haupteingangs die Worte VOLKSSCHULE MARRSIDE 1883 gemeißelt waren.
Er hielt an.
»Warum halten Sie an? Das Grange ist einen halben Kilometer weiter, bei der Umgehungsstraße.«
»Das Grange Hotel? Ja, ist mir aufgefallen, als wir vorhin vorbeigekommen sind«, sagte Rod. »Sieht sehr nett aus.«
»Aye, mag schon sein, aber nettes Aussehen ist nicht alles«, erwiderte Tottie barsch. »Dort haben wir die Walima nach der Trauung meines Jungen. Das, was man den Empfang nennt. Ich treff mich mit meiner Schwiegertochter dort, um mich zu vergewissern, dass der verpennte Catering-Chef auch alles auf die Reihe bekommt. Zumindest würde ich mich mit ihr treffen, falls unser junger Lochinvar da vorn mal etwas Dampf machen würde.«
»Wissen Sie was«, sagte Pascoe. »Rod kann Sie zum Hotel fahren. Ich bleibe hier, mal sehen, ob ich Kalim finden kann.«
Er stieg aus. Rod folgte augenblicklich, um zum Fahrersitz zu wechseln. Vor dem Wagen hielt der junge Mann inne und sagte: »Peter, meinen Sie wirklich, dass das nötig ist? Ich meine, ohne es vorher abgesprochen zu haben.«
»Was nötig? Dass ich freundlich mit einem freundlichen Zeugen plaudere? Wüsste nicht, dass man dafür aufgeknüpft wird.«
Er trat auf den Bürgersteig und ging auf das Gebäude zu.
Aus dem hinteren Fenster brüllte Tottie: »Achten Sie darauf, dass Sie die richtige Tür erwischen. Und ich hoffe, Ihre Frau stopft Ihnen die Socken!«
Beide Bemerkungen kamen ihm ein wenig enigmatisch vor, bis er rechts des Haupteingangs, der aussah, als sei er seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden, eine Tür bemerkte, über der im steinernen Sturz das Wort Knaben eingemeißelt war. Die korrespondierende Tür auf der anderen Seite war mit Mädchen markiert.
War vielleicht absichtlich so geschaffen worden, damit die Schule leichter in eine Moschee umgewandelt werden konnte, dachte er sich, als er durch die Knaben- Tür trat.
Er fand sich in einer langen Vorhalle wieder, in der sich Regale mit vielen Schuhpaaren aneinanderreihten. Jetzt ergab auch der zweite Kommentar der Frau Sinn. Während er seine Slipper auszog, ging hinter ihm die Tür auf. Ein junger Südasiate erschien und musterte ihn mit unfreundlicher Neugier.
Schließlich sprach er Pascoe im breitesten Yorkshire-Akzent an.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ich bin wegen Kalim Sarhadi gekommen«, sagte Pascoe.
»Oh, aye? Und was wollen Sie von ihm?«
Das, schätzte Pascoe, musste einer von Jamilas Knallköpfen sein, dessen Stimmung sich nicht unbedingt aufheitern würde, falls ihm offenbart würde, er spreche mit einem Polizisten.
»Hey, in bin nur ein Freund. Es geht um die Hochzeit«, sagte Pascoe lächelnd.
Er bekam kein Lächeln zur Antwort, aber wenigstens grummelte der andere, was Pascoe als Aufforderung verstand, ihm zu folgen. Von der
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