Der Tod und der Dicke

Titel: Der Tod und der Dicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill

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Wahrheiten bewahren wollen, heißt das nicht, dass wir nicht auch neue Kniffe dazulernen dürfen. Und ich möchte sagen, viele der alten Traditionen werden dennoch aufrechterhalten, und sei es nur durch Zufall. Zum Beispiel jene, die besagt, dass die Walima im strengen Sinne erst dann stattfinden darf, nachdem die Ehe vollzogen ist.« Dieser Hinweis darauf, wie viel er über die sehr unorthodoxe Liebschaft von Sarhadi und Jamila wusste, hatte diese doch ein wenig entsetzt. Aber wahrscheinlich war es lediglich eine Annahme, wiewohl sie durch manches fundiert wurde. Allah sei Dank fehlte es den Knallköpfen an solch fundierten Einsichten.
    Seine Mutter hatte die Nachricht von der Zustimmung des Imams mit der ihr typischen Direktheit begrüßt. »Wunderbar«, hatte sie gesagt. »Wäre aber auch scheißegal gewesen, wenn der alte Knülch irgendwas anderes gesagt hätte.« Kalim hatte nie daran gezweifelt, dass seine Mutter eine wahre Konvertitin sei, ebenso offensichtlich aber war, dass der Geist Allahs ihren unabhängigen Yorkshire-Geist nicht ersetzt, sondern nur ergänzt hatte.
    Tottie stand jetzt neben dem Sofa-Thron, kümmerte sich um die Geldgeschenke, meistens Scheine und Schecks, obgleich manche Gäste, noch auf Zeiten Bezug nehmend, in denen die Braut mit Münzen überschüttet wurde, alles oder einen Teil ihrer Gaben in Form von Geldbörsen überreichten, die mit Goldmünzen gefüllt waren. Waren die Geschenke empfangen und der Dank ausgesprochen, wurden die Gäste, die geneigt waren, noch ein wenig länger zu verweilen, von diesem Bollwerk an Lady schnell in den Speisesaal gescheucht. Es bestand kein Zweifel, wer hier das Kommando führte. Als Farrukh Khan aus der Gruppe der jungen Männer, die die inoffizielle Leibwache des Scheichs bildeten, sich hinter dem Sofa postieren wollte, tippte ihm Tottie auf die Schulter und schickte ihn mit einer resoluten Kopfbewegung zu den Knallköpfen zurück, die die Gäste beim Betreten der Lounge durchsuchten.
    Das aufdringliche Gebaren dieser selbst ernannten Wächter ging Sarhadi auf die Nerven, aber es war nicht zu leugnen, dass irgendein Wirrkopf eine Waffe auf den Wagen des Scheichs abgefeuert hatte, weshalb man sich nun bei jedem Ereignis, das er durch seine Anwesenheit beehrte, mit den Knallköpfen abfinden musste.
    Der Strom der Gäste war mittlerweile zu einem Rinnsal verebbt, und Tottie warf mit der Zufriedenheit jener, deren Zeitplan auf das Genaueste aufging, einen Blick auf ihre Uhr. Mit einem Stirnrunzeln bemerkte sie, dass sich Farrukhs wuchtige Gestalt erneut dem Sofa näherte, diesmal aber ignorierte der junge Mann sie und sagte zu Sarhadi: »Draußen ist eine Frau, die will rein. Sagt, sie sei Fotografin und würde dich kennen. Du hast doch keine Fotografin bestellt! Mein Onkel Asif ist dafür zuständig, oder?«
    »Ja, klar. Wie heißt sie«, fragte Sarhadi verwirrt.
    »Kent, irgendwie so was, glaub ich. Ich hab ihr gesagt, sie soll verschwinden.«
    »Nein, warte«, sagte Jamila. »Könnte es Kentmore sein? Kilda Kentmore?«
    »Ja, stimmt.«
    »Kai, du erinnerst dich? Letzte Woche – sie ist die Schwägerin dieses Typs, der mit dir im Fernsehen war. Wir haben sie noch einmal auf dem Dorffest getroffen. Ich habe mich lange mit ihr unterhalten. Sie ist eine richtige Fotografin, Kai, hat Modesachen gemacht, kennt alle Top-Models. Wenn sie uns fotografieren möchte, dann lass sie uns doch hereinbitten.«
    »Und was ist mit Onkel Asif?«, protestierte Farrukh.
    »Was soll mit ihm sein?«, sagte Jamila fröhlich. »Jeder weiß, dass er auf einem Auge blind wird, und das ist das Auge, mit dem er durch den Sucher starrt. Lass Kilda rein.«
    Farrukh sah zu Sarhadi. Tottie war eine Sache, aber er würde keine Anweisungen von einem vorlauten Mädchen wie diesem entgegennehmen.
    »Ja«, sagte Sarhadi. »Warum nicht? Lass sie durch.«

6
    Hi-yo, Silver!
    Um mitten im Hochsommer an einem Samstagnachmittag im Urbanen West-Yorkshire einen Schnitt von über achtzig Kilometern in der Stunde zu schaffen, ist viel Glück vonnöten sowie die völlige Missachtung der Verkehrsregeln. In Pascoes Fahrwasser lagen die Vorschriften in Trümmern, dankenswerterweise hatte sein Glück bislang gehalten. Er wusste, er handelte irrational, aber rationales Handeln brauchte Zeit.
    Durch seine Gedanken stürmte wie ein Blizzard über einem Inlandsee alles, was sich seit der Explosion in der Mill Street ereignet hatte. Weil er fürchtete – weil er tief im Inneren überzeugt gewesen war