Der Tod und der Dicke
gönne.
Am zweiten Tag zu Hause verkündete er, kurz mal in der Arbeit vorbeizuschauen, um zu sehen, wie alles lief. Ellies Einwände wurden kraftvoll vorgetragen und deckten ein weites Spektrum ab, beginnend mit der medizinischen Diagnostik und endend mit Überlegungen zu seiner geistigen Stabilität. Als sie innehielt, um Atem zu holen, sagte Pascoe: »Du hast absolut recht, Liebes. Mit allem. Nur habe ich das Gefühl, dass ich hier zu Hause Andy keine Hilfe bin. Ich weiß, es klingt blöd, und es ändert auch nichts, rein gar nichts, wenn ich wieder in die Arbeit gehe. Aber irgendwie fühlt es sich eben so an.«
»Du und deine Tochter«, sagte Ellie, »ihr seid beide verrückt. Aber geh lieber. Es wird schon schlimm genug, wenn der dicke Scheißkerl stirbt, selbst wenn du dich nicht persönlich dafür verantwortlich fühlst.«
Insgeheim hatte Ellie Dalziel bereits abgeschrieben und sparte sich ihre Kräfte für die Nachwirkungen seines Todes auf. Sie zweifelte nicht daran, dass es traumatisch werden würde, so, als würde man … wen verlieren? Hier ließ ihre Einbildungskraft sie im Stich. Jeder menschliche Vergleich wäre unpassend. Menschen starben. Das war so angelegt. Man trauerte. Man machte mit dem Leben weiter. Aber bei Dalziel, falls er starb, wäre es, als verlöre man einen Berg. Jedes Mal, wenn man die Stelle sah, an der er gestanden hatte, würde man daran erinnert werden, dass nichts für die Ewigkeit bestimmt war, noch nicht einmal die höchst majestätische Natur, auch sie war nur Schatten, Rauch und Schein.
Wenn, dann machte sie sich um ihre Tochter mehr Sorgen als um ihren Mann. Peter wusste, dass seine Reaktion verrückt war. Gut, er ließ sich davon zwar nicht beirren, aber er wusste es immerhin. Rosie hingegen hatte die Neuigkeiten von Onkel Andys Koma mit scheinbarer Gleichgültigkeit aufgenommen. Als Ellie sacht versucht hatte, ihr den Ernst der Situation klarzumachen, hatte sie die Rollen vertauscht und mit der Geduld einer reifen Erwachsenen, die ein verunsichertes Kind anspricht, erwidert: »Onkel Andy wird aufwachen, wenn er es will, verstehst du?«
Bei Rosies Geburt hatte Ellie sich das Versprechen gegeben, zu ihrer Tochter immer vollkommen ehrlich zu sein. Oft war ihr Vorsatz hart auf die Probe gestellt worden, oft war sie nahe daran gewesen, ihn zu brechen, aber sie hatte sich immer bemüht. Jetzt nickte sie nur und sagte: »Hoffentlich, Liebes, hoffentlich. Aber er ist sehr krank, und wir müssen uns ehrlich eingestehen: Vielleicht ist er so krank, dass er nicht mehr aufwachen will und einfach stirbt. Tut mir leid.«
Ihre Worte klangen dumpf in ihren Ohren, Rosies Gesichtsausdruck aber änderte sich nicht.
»Das spielt keine Rolle«, erläuterte sie. »Er wird trotzdem aufwachen, wenn er gebraucht wird.«
Wie König Artus, meinst du?, dachte sich Ellie. Oder, passender wohl, wie der Riesenkrake?
Aber sie sagte nichts mehr. Was hätte es auch noch zu sagen gegeben außer klischeehaften Tröstungen? Und deren Zeit, obwohl nicht mehr fern, war noch nicht gekommen.
Peter Pascoe verließ somit eine vom Tod absolut überzeugte Ehefrau und eine Tochter, die von der untrüglichen und gewissen Hoffnung auf Wiederauferstehung aufrechterhalten wurde, und kehrte in die Arbeit zurück.
Entschlossen, jeden Anschein von Versehrtheit zu verbergen, holte er, als er sich den CID-Räumen näherte, tief Luft, was sich als kontraproduktiv herausstellte, da das Einatmen einen zuckenden Schmerz durch seinen Brustkorb sandte, der kurzzeitig die erforderliche Willensanstrengung untergrub, um das linke Knie zu beherrschen.
Der erste Anblick, den seine jüngeren Kollegen deshalb von ihm hatten, war der eines humpelnden, zusammenzuckenden, röchelnden Mannes. »Pete, alles in Ordnung? Ich dachte, du wärst mindestens für eine Woche flachgelegt.«
»Die verdammten Quacksalber, was wissen die schon?«, stieß Pascoe hervor. »Also, Wieldy, bring mich auf den neuesten Stand.«
»Hat sich nicht viel geändert«, sagte der Sergeant. »Drei weitere Einbrüche oben in Acornboar Mount; eine Welle von Kreditkartenbetrügereien – sieht so aus, als würde jemand PINs auslesen; einige Raubüberfälle; eine Schlägerei vor dem Dead Donkey …«
»Mein Gott, Wieldy«, unterbracht Pascoe. »Das alles kümmert mich nicht. Jemand sprengt eine halbe Straße in die Luft, es gibt drei Tote, Andy liegt im Koma – das ist der einzige Fall, der mich interessiert. Also, wie steht’s in diesem Spiel?«
Wield
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